Die keltische Schwester
Lindis?«, fragte Robert und sah mich spöttisch an.
»Ich darf mir doch wohl Gedanken über meine Zukunft machen, oder?«
»Sicher, aber warum?«
»Weil ich sehen muss, wo ich bleibe. Robert, ich muss meinen Lebensunterhalt verdienen.«
»Du könntest Böden schrubben oder Zeitungen verkaufen.«
»Blödsinn. Ich brauche eine Tätigkeit, die mich weiterbringt. Ich habe dir schon einmal vor langer Zeit gesagt, dass ich meinen Weg gehen will, und der heißt, ob du das nun gut findest oder nicht, Karriere. Wenn von diesem Debakel etwas hängenbleibt, kann ich mir das abschminken. Was meinst du wohl, wie gut sich das in einem Zeugnis ausmacht, wenn, wie höflich auch immer verklausuliert, darin steht: ›Hat sich nicht loyal gegenüber dem Arbeitgeber verhalten.‹ Mit so einer Aussage komme ich nie in die oberen Etagen.«
»Wie schön, dass du immer an dich zuerst denkst. Moralisches Empfinden ist dir fremd, was?«
»Was hat das mit Moral zu tun, wenn ich einen Job haben will, in dem ich endlich mal die Freiheit habe, selbst zu bestimmen, was läuft? Macht nennt man das im gewöhnlichen Sprachgebrauch.«
»Ach, Macht nennt man das. Aber dir ist völlig egal, wie du sie erhältst, was? Böden schrubben willst du nicht, das ist dir zu dreckig. Aber um in die oberen Etagen zu kommen, würdest du auch den Bau von Kampfflugzeugen und Giftgasfabriken managen.«
Ich war aufgestanden und kochte vor Wut. Genau an der Stelle hatten wir schon einmal gestanden.
»Warum machst du ausgerechnet mir den Vorwurf? Es waren doch deine Geschlechtsgenossen, die damit angefangen haben, ausgeklügelte Waffensysteme und unsinnige Chemieanlagen zu bauen. Ich versuche mich nur in dieser Welt zu behaupten.«
»Das ist ja das Idiotische an dir. Ausgerechnet als Frau willst du da mitmachen.«
»Du traust mir das nicht zu, ich weiß. Und meinen jetzigen Job werde ich deinetwegen verlieren, weil ich mich auf diese dämlichen Spielchen eingelassen habe.«
»Vielleicht ist dir das mal eine Lehre! Du spazierst mit einem derart selbstgefälligen Getue auf der falschen Straße herum, dass einem das Zusehen schon Zahnschmerzen bereitet. Sag mal, stehst du nicht hin und wieder fassungslos neben dir?«
»Als ob das eine Rolle spielt! Robert, ich will nach oben. Ich habe die Fähigkeit dazu, tausendmal mehr, als die männlichen Deppen um mich herum.«
»Und was versprichst du dir von ›da oben‹?«
»Die Anerkennung, die ich verdient habe.«
»Du bist deiner Mutter sehr ähnlich, nicht?«
Das war der gemeinste Schlag. Mit meiner Mutter wurde ich nun wirklich nicht gerne verglichen.
»So ein ausgemachter Schwachsinn! Meine Mutter ist eine geltungssüchtige Frau, die sich mit Statussymbolen schmückt und lüstern nach der High Society schielt.«
»Ein anderes Wort für das gleiche Ziel, meine süße Lindis.«
Samtweiche Stimme, die einem das Fleisch von den Knochen riss.
Ich begann ebenso leise und samtig: »Robert, ich staune! Gestern noch hat Morwenna dich einen gütigen Mann genannt. Beni hat für dich die Bezeichnung verständnisvoll gefunden. Und …«, ich merkte, dass meine Stimme schneidender wurde, »… und Teresa hat mir einmal gesagt, du seist jemand, der keine Maske trägt! Dass ich nicht lache, Robert. Du und keine Maske! Du spielst der Welt den sanften, einfühlsamen Mann vor, aber du bist ein arroganter Schweinehund, der kein Verständnis und kein Herz hat!«
»Du wiederholst dich, Lindis. Das Lied hatten wir schon mal.«
Ich sagte nichts mehr, mir drückten plötzlich die Tränen die Kehle zu. Und dann hörte ich zu meiner Überraschung Teresa ganz ruhig sagen: »Robert, du bist ein Trottel.«
»Ein Idiot, ja«, schloss Beni sich an.
Robert verließ wortlos den Raum.
»Ich möchte weg von hier! Mir ist schlecht.«
Teresa drückte mich in einen Sessel und strich mir über die Haare.
»Lindis, bleib hier. Bitte. Du kannst jetzt nicht einfach weggehen. Robert hat offensichtlich mit großem Talent einen Streit wieder aufleben lassen, der völlig unsinnig ist. Ich weiß, dass du nicht die skrupellose Karrierefrau bist, als die er dich darstellt. Dazu bist du viel zu lieb.«
Ich hätte gerne geweint, aber noch nicht einmal das ging.
»Lindis, wir haben ein furchtbares Wetter, mein Kopf dröhnt, und meine Nerven sind auch nicht die solidesten heute. Du hast ganz schöne emotionale Belastungen in den letzten Tagen zu bewältigen gehabt. Lass das Gewitter kommen, dann siehst du es mit anderen Augen.«
»Ja, mag sein.
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