Die keltische Schwester
nicht in ihn verliebt?«
Schrecklich scharfsichtig.
»Nicht bis zur Bewusstlosigkeit, nein.«
»Dann ist gut. Dann kann er dir auch nicht wehtun.«
»Das will ich doch auch nicht hoffen. Wir kommt es, dass du über solche Gefühle übrigens so gut Bescheid weißt? Warst du schon mal verliebt?«
»Oh, aber heftigst!«
Ich kenne meine kleine Schwester wirklich sehr wenig und hatte bisher auch nur selten Gelegenheit, länger über solche intimen Dinge mit ihr zu plaudern. Darum lehnte ich mich jetzt endlich mal zurück, schob den Ordner zur Seite und öffnete mein Ohr den Angelegenheiten jugendlicher Herz- und Liebesleiden.
Beni hatte einen massiven Anfall von Verehrung einer Boygroup aus der Musikszene überwunden, ein herzzerreißendes Liebes- und Eifersuchtsdrama mit dem Bruder der besten Freundin durchlitten, schlaflose Nächte über einen angeschwärmten Lehrer verweint, sich den energischen Aufmerksamkeiten eines pickeligen Nachbarsjünglings entziehen müssen und hatte das alles ohne bleibenden Schaden überstanden.
»Und jetzt?«
»Jetzt warte ich auf den Richtigen!«
»Glaubst du, dass der sich findet?«
»Wenn er mich nicht findet, muss ich ihn eben suchen, nicht? Warum machst du das eigentlich nicht auch? Diese Tröte von Wulfi ist es doch wirklich nicht. Das hast du selbst zugegeben.«
»Vielleicht habe ich feststellen müssen, dass es so was wie den ›Richtigen‹ nicht gibt.«
»Vielleicht setzt du deine Ansprüche zu hoch an. Weiß du, ich hab nichts dagegen, wenn der, den ich brauche, zum Beispiel kleiner ist als ich. Oder älter oder so.«
Ich musste bei der Bemerkung lachen und meinte: »O Beni, ich wünsche dir, dass du deinen Richtigen findest und dass er dir dann nicht wehtut.«
»Woraus ich messerscharf schließe, dass dir genau das passiert ist. Arme ältere Schwester.«
»Beni, du bist mir zu schlau. Lass uns das Thema wechseln. In vier Wochen fängt das Schuljahr an, und du musst dich endlich entscheiden, wo du hinwillst. Ich habe an drei Schulen Anmeldungen abgegeben, was vermutlich sowieso schon eine Schweinerei ist. Aber ich kenne mich da ja nicht so aus. Hast du dich inzwischen mal umgehört?«
»’türlich! Weißt du, ich bin ja so musisch begabt …«
»Autsch!«
»Ja, doch. Zwar nicht so wie du …«
»Ich? Wie kommst du denn darauf?«
»Na sieh dir das doch mal wieder an.«
Beni wies auf den Zettel, der vor mir lag. Selbstverständlich zog sich am Rand eine schnörkelige Ranke entlang.
»Du kannst wahnsinnig toll zeichnen, weißt du das? Ich habe das schon immer bewundert.«
»Du kennst doch überhaupt nichts von mir.«
»Doch, Lindis. Ich habe nämlich zum Beispiel zu Hause deine alten Schulhefte gefunden und durchgeblättert. Und dann gibt es auch hier im Haus viele Zeugnisse deines künstlerischen Wirkens. Der Notizblock am Telefon hat schon Sammlerwert. Ich finde das irre, wie du das hinkriegst, diese Blätterranken, mit Schattierung und alles. Richtig plastisch. Und guck dir das hier an, was du eben gezeichnet hast.Diese Linie, die sich knotet. In was für komplizierten Windungen.«
Ich sah etwas verblüfft auf das, was ich gekritzelt hatte. Das passiert bei mir ja immer unbewusst. Früher waren es gerade, geometrische Muster, dann, als ich in Benis Alter war, gab es mehr das herzförmige Ornament, später überwog Florales. Das, was da jetzt vor mir lag, war wahrhaftig neu. Es war ein Band, das sich wieder und wieder mit sich selbst verknotete und schließlich in einer Spirale endete. So etwas hatte ich meines Wissens noch nie gesehen.
»Sieht aus wie zu lange gekochte Spaghetti, wenn du mich fragst. Oder wie ein halb aufgeribbeltes Gehirn, was meiner geistigen Verfassung am nächsten kommt.«
»Hast du vielleicht auch Verdauungsbeschwerden? Es könnte ein Bandwurm sein. Oder krankhafte Darmverschlingungen.«
»Du bist degoutant, Beni.«
»Nein, du hast mit Gehirn angefangen. Aber trotz dieser wunderlichen Deutungen, ich finde deine Zeichnungen genial. Das kann ich nicht.«
»Nein? Hast du es schon mal probiert?«
»Klar. Ich hab aus deinen Heften früher immer abgemalt. Nein, meine musische Begabung liegt woanders. Ich kann nämlich singen!«
»Singen? Die Geräusche, die ich neulich aus dem Badezimmer hörte, haben die Angst in mir geweckt, dass irgendetwas Grauenvolles aus dem Siphon gekommen sei, um dich zu würgen.«
»Du bist fies. Hör zu!«
Beni setzte sich in Pose und schmetterte:
»Non! Rien de rien! Non, je ne regrette rien!«
Die
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