Die keltische Schwester
verschwunden. Was Wunder, denn die Firma verließ ich meist erst, wenn die Sonne jede Kraft verloren hatte.
Schließlich hatte ich aber meinen Netzplan ausgedruckt und als Grafik vor mir liegen. Ich konnte endlich meine Analyse beginnen.
Es sah nicht gut aus. Selbst wenn noch ein Wunder geschehen würde. Wir waren schon auf dem kritischen Pfad, wenn wir termingerecht im nächsten September fertig sein wollten. Wulf war nicht begeistert. Er knurrte herum und schimpfte auf alles und jeden.
»Ausgerechnet jetzt muss Dr. Koenig in Urlaub sein.«
»Ja, das ist auch noch so ein Ding. Aber er ist ja übernächste Woche zurück. So lange bleibt uns nichts anderes zu tun, als abzuwarten.«
»Das hasse ich!«
»Ich weiß.«
Ich wusste wirklich. Inzwischen hatte ich nämlich Wulf noch etwas näher kennengelernt, und man konnte schon fast sagen, dass sich eine lose Beziehung zwischen uns entwickelt hatte.
Nach meinem Wiedersehen mit Robert hatte ich ein paar Tage übelste Laune und war für niemanden so recht genießbar gewesen. Aber dann hatte ich mich wieder so weit im Griff, dass ich emotionslos über meine Situation nachdenken konnte. Dabei kam heraus, dass, realistisch betrachtet, Wulf schon die richtige Lösung für mich war. Wir hatten beide gemeinsame Interessen, fanden uns gegenseitig anziehend und wollten uns nicht in zu enge Abhängigkeiten begeben. Gut, die große Liebe meines Lebens war er nicht. Aber davon träumen sowieso nur pubertierende Teenies.
Robert wurde wieder in die Kiste verlorener Hoffnungen gepackt, Mottenkugeln draufgeschüttet und so für Zeiten aufbewahrt, in denen ich mich vielleicht mal ganz abgeklärt und mit leiser Belustigung über vergangene Torheiten an lustvollen Erinnerungen wärmen wollte.
Wulf und ich trafen uns hin und wieder am Wochenende, meist bei ihm, und verbrachten die Zeit oft in den Federn. Beni gegenüber konnte ich das zwar nicht verheimlichen, aber schließlich war sie alt genug, um zu wissen, was Männlein und Weiblein so anzieht. Was mich allerdings wunderte, war ihr Verhalten gegenüber Wulf.
9. Faden, 3. Knoten
»Was findest du nur an dem, ältere Schwester?«, fragte Beni, als Wulf gegangen war. Er hatte mir am Samstagnachmittag einige Unterlagen vorbeigebracht und war auf eine Tasse Kaffee geblieben. Beni, die zufällig auch zu Hause war, hatte sich zu uns auf den Balkon gesetzt, war aber ungewöhnlich schweigsam geblieben. Ich bemerkte jedoch, dass sie ihn unauffällig beobachtete.
»Was ich an ihm finde? Das ist doch wohl meine Sache.«
»Ich bin ja nur neugierig. Gehört mit zu meinen Studien.«
»Studien?«
»Die Psychologie der menschlichen Anziehungskräfte. Was treibt Frauen dazu, sich in solche Männer zu verlieben?«
»Kauf dir ein Buch darüber.«
»Zu teuer. Vor allem, wenn ich ein lebendes Forschungsobjekt direkt vor mir sitzen habe. Nun sag schon, was isses?«
Beni ist schrecklich. Schrecklich direkt, schrecklich zäh, schrecklich scharfäugig und schrecklich scharfzüngig, wenn es sein muss. Aber es ist nichts Falsches an ihr, sie ist kein bisschen bösartig. Sie ist, das hatte ich inzwischen sehr an ihr zu schätzen gelernt, erfrischend aufrichtig. Vielleicht ließ ich mich deshalb in eine Diskussion über meine Privatangelegenheiten ein.
»Er und ich haben die gleichen Interessen.«
»Ah, genau das habe ich mir gedacht. Ihr sitzt nebeneinander auf der Bettkante und diskutiert über die Bodenbeschaffenheit auf der Baustelle.«
»Siehst du, warum fragst du also noch?«
»Weil der Mann so ausgesucht schön ist.«
»Möchtest du jetzt hören, was wir machen, wenn wir nicht auf der Bettkante sitzen?«
»Na, das könnte ich mir schon vorstellen. Darüber gibt es Bücher! Und ganz prima Filme.«
»Beni??«
»Nein, schon gut. Ich will wirklich wissen, was du an ihm findest. Ich persönlich mag nämlich diese Typen nicht, die sich für das Geschenk Gottes an die Frauen halten.«
»Hält er sich dafür? Das ist mir noch nicht aufgefallen.«
»Nein, du bist ja auch hormonell befangen. Aber ich sehe das sozusagen als Außenstehende. Und da komme ich zu diesem ernüchternden Schluss.«
»Hormonell befangen. Also wirklich.«
»Ja, so ist das doch, wenn man verliebt ist, oder?«
Warum ihr widersprechen? Ich sah das im Prinzip auch so. Nur – konnte ich mir oder gar ihr gegenüber zugeben, dass ich in diesem Fall noch nicht einmal hormonell befangen war? Auf diese Weise betrachtet kam ich mir direkt irgendwie unmoralisch vor.
»Du bist
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