Die keltische Schwester
einen höflichen Gruß entbot, fragte er: »Welches ist das Heim, in dem das halbblinde Mädchen Danu wohnt?«
»Das Haus der Töpferin Meb. Gleich dort am Waldrand findet Ihr sie.«
Der Graue nickte dem Mann zu und eilte in die Richtung, die ihm gewiesen wurde. Hier, vor dem strohgedeckten Haus aus Feldsteinen, saß eine dunkelhaarige junge Frau vor der Tür. Neben ihr standen auf einem rohen Holzgestell einige Tontöpfe, die noch nicht ganz getrocknet waren. Sie hielt auf dem Schoß eine der lederharten Schüsseln und ritzte mit einem angespitzten Holz ein kompliziertes Muster hinein. So versunken war sie in ihre Arbeit, dass sie das Nahen des Mannes nicht bemerkte und erst ein wenig überrascht aufsah, als ein Schatten über ihre Arbeit fiel.
»Ich grüße dich, Töpferin Meb. Eine schöne Arbeit wird das, wenn ich es richtig erkennen kann.«
»Conall!«, Meb lachte, und ihre blauen Augen blitzten den Sprecher an. »Braucht Ihr einen neuen Kessel? Ich habe heuer ein paar schöne große Töpfe geformt.«
»Vielleicht. Deine Verzierungen werden allseits bewundert.«
Er betrachtete eingehend die verschlungenen Linien, die sich spiralförmig um den Rand wanden.
»Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Ihr wegen meiner Tonwaren im Dorf seid.«
»Nein, leider nicht. Es gibt ein paar Rechtsfälle, die ich heute Abend besprechen möchte. Aber zu dir hat mich ein anderes Anliegen geführt, Meb.«
»Ja? Nun …«
Conall lachte erneut, als sie ihm augenzwinkernd ansah. Es hatte da mal eine Zeit gegeben, da war dieses Angebot nicht abgelehnt worden.
»Nein, nein, Meb. Es ist etwas ganz anderes.« Seine Miene wurde ernst, und er sah zur Haustür hinein. »Ich habe deine Tochter Danu am Strand getroffen.«
Auch Mebs Lächeln verschwand, und sie legte die halbfertige Schale beiseite.
»Ja, Conall?«
»Sie hat eine seltsame Äußerung gemacht.«
Stumm sah Meb zu ihm auf, und ihre Finger zerrten an dem Zopf, der ihr über die Schulter gefallen war.
»Nicht jetzt schon, Conall. Sie ist noch so klein. Und sie hat doch nur ein gutes Auge.«
»Du weißt also um ihre Gabe?«
»Ja, sicher. Aber glaubt Ihr, dass sie überhaupt von Bedeutung ist? Es sind solche Kleinigkeiten, die sie sieht. Ein Besucher vielleicht, ein seltener Fang im Netz, solche Sachen eben …«
»Sie ist ein Kind, ja. Aber sie hat mir heute eine sehr unkindliche Auskunft gegeben. Lass sie mich mitnehmen und bei uns ausbilden, Meb.«
Meb sah zu Boden, und ganz plötzlich stand auch Danu an ihrer Seite. Sacht legte die Mutter den Arm um das Mädchen und zog die Kleine zu sich heran.
»Es ist nur eine Tagesreise entfernt, ihr werdet euch sehen können.«
Danu klammerte sich mit angstvollem Blick an ihre Mutter.
»Sie wird die alten Lieder lernen, die Geschichte, die ihr alle so liebt. Sie wird die heilenden Pflanzen kennenlernen, die Pflege der Kranken und Verwundeten.«
»Sie wird aus dem Vogelflug lesen lernen und aus den Zeichen des Himmels, Conall.«
»Mag sein.«
»Sie wird die giftigen Pflanzen kennen und den heiligen Rauch.«
»Wenn sie will.«
»Ich möchte aber Kämpfen lernen, Herr, nicht die langen Lieder.«
Das war das Erste, was Danu sagte, und sie löste sich von ihrer Mutter.
»Auch das kannst du lernen, Danu.«
»Das habe ich befürchtet.«
»Wir wissen noch nicht, wo ihre Begabung liegt, außer dass sie manchmal sehen kann, was verborgen ist. Es ist besser für sie, es zu beherrschen, als davon überrascht zu werden, Meb.«
»Du hast ja recht, aber ich möchte erst noch mit ihrem Vater sprechen. Komm morgen wieder vorbei, Conall.«
Der Mann legte der Töpferin die Hand auf die Schulter und …
»Wachen Sie auf! Bitte! Wachen Sie doch auf!«
»Was?«
»Wachen Sie auf, Sie können hier nicht liegen bleiben, der Kurs ist längst vorbei. Wir brauchen den Raum für die Gymnastikgruppe!«
»Gymnastik?«
»Hören Sie, wenn Sie müde sind, legen Sie sich in Ihrem Zimmer ins Bett.«
Ich hatte entsetzliche Schwierigkeiten, mich wieder zurechtzufinden. Der Raum mit der künstlichen Beleuchtung war mir fremd, das Licht blendete mich.
Knoten 1. und 3. Faden
Noch immer wie im Halbschlaf suchte ich mir den Weg in das Hotel. Ich musste wirklich vollkommen übermüdet gewesen sein, so tief hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen. Und dann dieser Traum! Der war so wirklich gewesen, so lebendig. Und es war so eigenartig, dass dieses Kind wieder darin auftauchte, von dem ich schon einmal geträumt hatte. Aber ich war
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