Die keltische Schwester
Federwölkchen wehen sacht dahin.«
Wehten.
»In der Ferne rauscht das Meer.«
Rauschte wie verrückt.
Rauschte und brandete mit kleinen schaumigen Wellen auf dem warmen, goldgelben Sand. Möwen glitten kreischend von den Felsen, die die kleine Bucht umgaben. Braungebrannte Kinder spielten im Sand. Ein kleines, blondes Mädchen in einem kurzen, hellbraunen Kittel kam aus dem Wasser und brachte eine Handvoll Muscheln herbei. Sie legten gemeinsam irgendeine Figur in den nassen Sand, ein vergängliches Kinderkunstwerk an einem Sommertag. Ich hörte sie lachen und miteinander reden. Bald schienen sie genug zu haben von ihrem Spiel und warfen Steine nach einem Treibholzstück, das sie in den Sand gesteckt hatten. Sie waren sehr geschickt darin, nur das blonde Mädchen traf selten das Ziel. Aber die anderen lachten nicht darüber, sondern gaben ihr neue Steine.
Plötzlich hörte das Spiel auf. Einer der Jungen zeigte in die Ferne. Die Kinder sahen, wohin er deutete. Ja. Da kam ein Mann den Strand entlang. Er wirkte abgerissen und müde. Seine Hosenbeine waren salzverkrustet, seine Tunika geflickt und an den Armen zerrissen. Er hatte einen Bart und wirre helle Haare.
»Brieg kehrt zurück.«
»Was? Was sagst du da, Danu?«
»Brieg kommt wieder.«
Die Kinder hatten sich dem kleinen Mädchen zugewandt.
»Er ist doch ertrunken? Letztes Jahr in den Herbststürmen.«
Danu hielt sich eine Hand über das rechte Auge und sah dem Mann entgegen.
»Brieg kommt wieder. Mona, sag deiner Mutter, sie sollihn wegschicken. Er bringt großes Unheil mit. Lauf schnell, Mona!«
Das Mädchen Mona starrte die Sprecherin an, sie wollte noch etwas sagen, aber Danu, noch immer eine Hand vor dem Auge, forderte noch einmal: »Schnell.«
Mona nahm die Beine in die Hand und lief mit wehendem Hemd die Böschung empor.
»Was sagst du da, Kleine?«
Erschrocken wichen die übrigen Kinder vor dem graubärtigen Mann zurück, der hinter ihnen aufgetaucht war. Er trug eine helle Tunika mit breiter blauer Borte, blau-braun karierte Hosen und hochgeschnürte Sandalen an den Füßen. Um seinen Hals schmiegte sich ein goldener Reif, an dessen offenen Enden sich zwei Vogelköpfe gegenüber sahen. Auch er schaute zu der näher kommenden Gestalt hin.
»Willst du mir nicht antworten?«
Danu, die nicht älter als sechs, sieben Jahre sein mochte, steckte die halbe Faust vor Verlegenheit in den Mund. Aber sie sagte nichts. Einer ihrer Gefährten, der nicht ganz so von der Furcht befangen war, stammelte: »Sie sagte, Brieg kommt zurück, Herr.«
»So, Brieg. Ein scharfsichtiges Mädchen. Wie heißt du Kleine?«
»D… Danu, Herr. Tochter der Meb, Herr.«
»Ich habe dich schon oft im Dorf gesehen, Danu. Du weißt, dass Monas Vater Brieg ertrunken ist.«
»Ja, Herr.«
»Und doch sagst du, er kommt zurück. Woher weißt du das?«
Danu kratzte sich im Stehen mit der großen Zehe den Sand von der Wade, aber sie antwortete nicht.
»Danu kann manchmal mit ihrem schlechten Auge sehen«, flüsterte der größere Junge.
»Mit dem schlechten Auge?«
»Ja, Danu ist auf dem linken Auge blind. Meine Mutter hat gesagt, das war eine Krähe, als sie noch ein Baby war. Es ist nicht ihre Schuld, Herr.«
»Nein, es ist nicht ihre Schuld, weder dass sie einäugig ist, noch dass sie mit dem blinden Auge sehen kann.« Der Mann ließ sich auf ein Knie nieder, um etwa auf gleicher Höhe mit dem Mädchen zu sein. Eindringlich sah er sie an und fragte: »Danu, was hast du über Brieg noch gesehen? Komm, du musst keine Angst haben.«
»Ich habe Angst, Herr.«
Danu sah den Grauhaarigen an. Sie zitterte leicht.
»Was siehst du, Danu?«
»Ein Schwert. Rotes Blut auf einem weißen Gewand und einen schwarzen Vogel. Und Euch, Herr.«
Danu rannte los, in panischer Flucht wie ein wildes Tier.
Der Mann stand auf, blickte ihr nach und nickte. Dann beschattete er seine Augen mit der Hand und sah dem Fremden entgegen, der jetzt an der Wasserlinie entlangtorkelte.
»Holt eure Heilerin, sie soll Brieg in den Hain bringen!«, befahl er den Kindern. Einen Jungen hielt er jedoch fest und beauftragte ihn: »Folge du der kleinen Mona und sag ihrer Mutter, sie soll die Warnung beachten.«
Danach machte er sich auf, die Böschung hinaufzusteigen, und sein graues, von noch immer blonden Strähnen durchzogenes Haar wehte im Wind.
Er eilte über die niedrig gewachsene Wiese auf das Dorf zu, den hohen, grauen Stein ließ er dabei unbeachtet. Einen Mann, der ihm entgegenkam und der ihm
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