Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
endlich! Ich hoffe, du kannst Gedanken lesen , dachte sie. Ihre Blickrichtung dirigierte seine Aufmerksamkeit auf ihre rechte Hand, die sich zur Faust ballte. Kai nickte unmerklich. Er hatte verstanden. Hoffentlich. So einfach machen wir es euch nicht , dachte Endriel. Wer immer ihr auch seid.
Die Schattenfrau berührte die letzte Taste. Mit einem Piepen erlosch die Barriere aus Purpurlicht – und ihr Begleiter schoss. Eine fast unsichtbare Metallnadel jagte durch die Luft. Kai warf sich zur Seite. In der gleichen Sekunde sprang Endriel den Schattenmann mit einem Kampfschrei an, während Kai sich um dessen Komplizin kümmerte. Er packte sie an den Schultern und warf sie um, sodass sie beide halb in der gegenüberliegenden Zelle landeten.
Endriels Gegner war nicht so leicht zu überwinden. Sein mächtiger Arm holte aus, schleuderte sie zur Seite. Sie knallte mit dem Kopf an eine Trennwand zwischen den Zellen. Grelle Lichter und Schmerz explodierten in ihrem Schädel. Sie stöhnte, ihre Sicht verschwamm.
»Endriel!« Kai rappelte sich auf, wollte ihr zur Hilfe eilen, doch die Schattenfrau packte seine Füße, brachte ihn zu Fall. »Schöne Träume«, sagte ihr Begleiter und feuerte auf Kai.
Endriel zuckte zusammen, als sie wie durch einen Schleier sah, wie eine zweite Nadel Kais Rücken traf und steckenblieb. Er stöhnte mit zusammengebissenen Zähnen; Schmerz verzerrte sein Gesicht. Er versuchte, die Nadel mit der rechten Hand aus seinem Fleisch zu ziehen. Doch dann erschlaffte sein Körper und er blieb reglos liegen.
»Kai!« Endriel richtete sich kraftlos auf, wobei sie sich dabei an der Wand abstützte. Eine dicke, schmerzhafte Beule pulsierte an ihrem Hinterkopf. »Ihr verfluchten Mistkerle!«
Die beiden Schatten wandten sich ihr zu. Durch ihren vernebelten Blick wirkten sie wie zwei tiefschwarze Vogelscheuchen.
»Was machen wir mit ihr?«, fragte die Frau, die einen Schritt hinter ihrem Komplizen stand.
»Keine Ahnung.« Ihr männlicher Konterpart richtete den Nadelwerfer auf Endriels Herz. »Besser, wir nehmen sie mit. Soll der Gebieter entscheiden, was mit ihr geschieht!«
»Ich gehe nirgendwo hin!« Endriel sprang die beiden an. Sie schlug dem Schattenmann mit der Linken die Waffe aus der Hand, doch er fing ihre Rechte ab. »Keine Chance!« Er lachte – bis Endriel ihm einen Tritt zwischen die Beine verpasste und er stöhnend zusammenklappte. Er torkelte zurück, suchte nach Halt, fand keinen und stürzte über seine Komplizin, die sich gerade nach dem Nadelwerfer gebückt hatte. Ein Schatten begrub den anderen unter sich. Für Endriel sahen sie aus wie ein riesiger schwarzer Käfer, der auf dem Rücken lag und mit viel zu vielen Armen zappelte.
Sie schüttelte den Kopf, um wieder klare Sicht zu bekommen. Kai! Sie lief zu ihm und ging in die Hocke, um ihn über ihre Schulter zu nehmen. Wir müssen hier verschwinden! Noch immer tanzten Flecken vor ihren Augen. Sie fasste seinen Arm und zog ihn hoch – er war schwerer, als sie gedacht hatte –, dann regte sich etwas Großes, Schwarzes in ihrem rechten Augenwinkel.
»So nicht, Kleine!« Der Schattenmann stand wieder, sein Arm zuckte in ihre Richtung, er feuerte. Endriel hatte Kai gerade halb aufgerichtet, als Schmerz in ihren Hals biss. Sie ertrug es mit zusammengebissenen Zähnen und schleppte Kai einen halben Meter weit Richtung Ausgang. Gleichzeitig spürte sie eine lähmende Taubheit, die sich vom Hals aus in ihrem Körper ausbreitete. Müdigkeit legte sich über sie, drückte sie nieder, wie ein Bleimantel.
»Nein«, keuchte sie. »Nein!« Ihre Finger erschlafften, Kai entglitt ihr, sie sah zu, wie er bewegungslos stürzte und dumpf auf dem Boden aufschlug, wie eine große Puppe. »Nein!« Endriel wirbelte herum, um ihm wieder aufzuhelfen, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst. Sie stürzte und landete direkt neben ihm, sodass sie sein Gesicht vor ihren Augen hatte. Er sah aus, als würde er schlafen. »Nein!« Endriels Lippen wurden schwer, sie konnte nur noch nuscheln. Nein ...
Der Schattenmann bückte sich über sie. Da bäumte Endriel sich auf. Sie versuchte, seine Jacke zu fassen, doch es war, als gehörten ihre Finger einer anderen Person, sie gehorchten ihr nicht, glitten ab. Wieder stürzte sie und schlug hart mit dem Kopf auf. Aber der Schmerz erreichte ihr Bewusstsein nicht mehr. Sie drehte sich zur Seite, wo Kai lag. Selbst jetzt dachte sie nur daran, wie sie ihn retten konnte.
»Du solltest besser liegen bleiben, Kleine!«
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