Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
jenseits der Nexus-Portale, um den Leuten dort meine Kenntnisse anzubieten. Viele Wesen dort draußen haben kein Geld für Medizin, und das Wissen um die alten Heiltechniken ist ihnen verlorengegangen. Jahrzehntelang reiste ich von einem Dorf zum anderen, entweder zu Fuß, auf Landbarken oder indem ich auf vorbeifliegenden Drachenschiffen anheuerte.«
»Ganz allein?« Nelen ließ ihre Hand vorschnellen, um einen flüchtenden Käfer zu packen.
»Ich war nie allein«, erklärte Xeah lächelnd. Die ruhige, dunkle Stimme der Draxyll wirkte fast hypnotisch auf Endriel. »Beinahe jeden Tag lernte ich neue Freunde kennen. Solange ich bei ihnen war, boten mir die Leute ein Dach über dem Kopf an und versorgten mich mit Nahrung.« Xeahs Horn verursachte ein Geräusch, das wie der Seufzer einer Trompete klang. »Es war eine wunderschöne Zeit. Ich hatte so vieles gelernt, so viele Lieder und Geschichten gehört und ich wollte mehr wissen, mehr lernen. Aber ich wurde langsam alt. Das Reisen fiel mir immer schwerer. Und so beschloss ich irgendwann, ins Kloster zurückzukehren. Ich wollte meine letzten Jahre damit verbringen, die Bibliothek des Sanktums um einige weitere Geschichten zu bereichern. Das war vor ... fast anderthalb Jahren, glaube ich. Zu dieser Zeit befand ich mich gerade in einem kleinen Dorf namens Gaidaan. Kennt ihr es?«
Nelen schüttelte den Kopf, aber Endriel nickte. »Es liegt ungefähr fünfzehn Kilometer westlich von Olvan. Eine ziemlich abgelegene Gegend.«
»Aber voller freundlicher Leute. Die meisten von ihnen waren Bauern und gaben wehrlose Opfer ab für die Piraten, die sich damals in dieser Gegend herumtrieben.«
»Piraten?« Nelens Flügel zuckten.
Dünne graue Häute bedeckten für einen Moment Xeahs schwarze Augen. »Ihre Schiffe kamen aus dem Nichts. Sie plünderten die Häuser und nahmen sich alles, was sie kriegen konnten. Die Leute von Gaidaan und ich, wir wehrten uns nach Kräften, aber die Piraten waren in der Überzahl. Ich wurde am Bein verletzt und konnte nicht mehr laufen.« Unbewusst berührte sie ihren rechten Oberschenkel unter ihrer Robe. »Ich suchte Schutz hinter einem Holzschuppen und musste hilflos mit ansehen, wie das Dorf dem Erdboden gleichgemacht wurde. Doch bevor von Gaidaan und seinen Bewohnern nichts mehr übrigblieb, wurden wir gerettet.« Sie legte eine Kunstpause ein. »Von deinem Vater.«
Endriel wusste nicht, warum diese Enthüllung sie so überraschte. Erstens musste Yanek irgendwann in Xeahs Geschichte auftauchen und zweitens war er schließlich Kapitän eines Friedenswächterschiffs gewesen, das in der Provinz um Olvan patrouillierte. Aber sie konnte sich ihren Vater nicht als strahlenden Retter vorstellen.
Wieder spähte sie in Kerus Richtung. Das Fell um seine Schnauze war rot von Blut. Du hast nicht zufällig Lust, dich mit uns zu unterhalten, oder?
Nein, offenbar nicht. Stattdessen tat der Skria, als ginge ihn das alles nichts an. Sein Löwengesicht schien versteinert. Endriel musste an eine Zeile aus Yaneks Brief denken: ... einmal durch den Panzer aus Eis gedrungen, wirst du in seinem Herzen eine Sonne finden . Es musste eine ziemlich kalte Sonne sein.
»Jemand hatte es geschafft, die Friedenswächter zu informieren«, fuhr Xeah fort. Die Mundwinkel ihres Schnabels zogen sich leicht nach oben. »Noch bevor sie wussten, wie ihnen geschah, waren die Piraten von ihren Drachenschiffen umzingelt. Nur Minuten später endete der Schrecken. Während ein Teil seiner Leute die Piraten zur Zwangsarbeit in die Minen von She-Sor brachte, waren dein Vater und die übrigen Friedenswächter damit beschäftigt, den Verletzten zu helfen. Es war Yanek, der mich fand. Ich werde nie vergessen, wie er über mir stand, mir die Hand reichte und sagte: › Es gibt keinen Grund mehr, sich zu verstecken, junges Fräulein. ‹ «
Endriel konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das war ein typischer Auswuchs des trockenen Humors ihres Vaters.
Auch Xeah lächelte. »Yanek tat alles, damit ich versorgt wurde. Er wollte mich nach Olvan bringen, damit ich zurück zum Kloster reisen konnte. Wir saßen zusammen und unterhielten uns. Ich berichtete ihm vom Überfall der Piraten. Dabei sah ich zum ersten Mal, wie seine Hände begannen, unkontrolliert zu zittern, auch wenn er versuchte, es vor mir zu verbergen. Es war das Anfangsstadiun des Skatai-Syndroms.«
Endriel schwieg. Wieder dachte sie daran, dass Yanek damals keinerlei Symptome gezeigt hatte. Und wenn er es getan hätte?
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