Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
ein Geschenk.« Sie warf sich auf das Bett und ließ sich in die weiche Matratze sinken. Neben dem Kopfkissen fand sie Kaya, ihre alte, ziemlich zerlumpte Sha Yang-Puppe, die früher ihrer Mutter gehört hatte.
Yanek hat nichts verändert , dachte sie. Er hat immer gehofft, dass ich zurückkomme. Endriel schloss die Augen. Wenn ich nur ein paar Wochen früher hier gewesen wäre.
»Xeah schickt mich.« Eine tiefe Stimme ließ Endriel und Nelen zusammenzucken. Keru stand an der offenen Tür, den Kopf leicht eingezogen. Keine der beiden hatte ihn kommen hören, womit er die sprichwörtliche Geschmeidigkeit seines Volkes unter Beweis gestellt hatte. »Das Essen ist bald fertig.« Er machte Anstalten, wieder zu verschwinden.
»Keru!«
Der katzenartige Riese drehte sich zu Endriel um. Sein rotes Auge starrte sie fragend an. Er hatte den Mantel abgelegt und offenbarte seinen massigen, muskulösen Körper. Das weiße Fell mit den grauen Tigerstreifen wucherte besonders üppig über seiner Brust. Er trug nur einen skria-typischen Kilt aus braunem Leinen und eine Stoffbinde um den linken Oberarm. Noch eine Wunde? Endriels Blick glitt wieder auf die Narbe in Kerus Gesicht. Wer hat ihm das angetan?
»Ah, nimm mir das nicht übel«, begann sie. »Aber du bist nicht gerade der gesprächige Typ, oder?«
»Ich habe nicht viel zu sagen.« Er wollte sich erneut abwenden, aber wieder hielt ihn Endriel zurück: »Keru. Ich wollte dich noch was fragen.«
Er starrte sie nur an.
»Vorhin in Teriam, bei den Weißmänteln, da hast gesagt, er – ich meine Admiral Telios – würde es erfahren. Meintest du damit Yaneks Tod?«
Der Skria nickte. »Dein Vater hat dem Admiral ebenfalls einen letzten Brief geschrieben. Ich nehme an, er hat ihn mittlerweile erhalten.«
»Warum hast du ihm den Brief nicht persönlich gegeben?«
»Weil ich so wenig wie möglich mit den Weißmänteln zu tun haben möchte.« Damit wandte er sich ab. Sie hörten nur noch seine leisen Schritte auf den Dielen im Flur.
»Für einen Skria ist der aber ziemlich scheu«, sagte Nelen.
Endriel antwortete nicht. Kerus Volk war normalerweise für seine Geselligkeit bekannt. Warum war er nicht bei seinem Klan?
Was versteckst du vor uns, Keru?
Das Esszimmer besaß ein großes Fenster mit Blick auf den nächtlichen Garten. Als Endriel den kleinen, von Öllampen beleuchteten Raum betrat, bemerkte sie die erste große Veränderung im Haus: Der Esstisch war geschrumpft. Seine Beine waren auf die Hälfte gekürzt, und anstelle der alten Mahagonistühle verteilten sich nun gelbe Sitzkissen um den Tisch. Diese Maßnahme war ein Zugeständnis an Xeah und Keru. Ihre Völker hielten nichts von Stühlen.
Es war bereits gedeckt: drei Teller und Becher, zwei Paar Essstäbchen, sowie ein kleiner Teller nebst einem Fingerhut aus Porzellan für Nelen.
Endriel suchte im Schrank nach Kerzen und wurde schnell fündig.
Die erste Kerze brannte gerade, als Nelen zurück ins Haus flatterte. Sie hatte sich ein paar Käfer zum Abendessen gefangen. Kurz darauf schlurfte Xeah mit dem Essen herein. Sie machte den Eindruck, als könne keine Macht der Welt sie aus der Ruhe bringen. Keru folgte ihr, beladen mit allerlei Krügen und Schüsseln.
Es gab gebratene Nudeln mit einer scharfen Soße aus Tomaten, Paprika, Mais und Knoblauch, dazu frisch gebackenes Kürbiskernbrot und kalten Minztee. Der Gewürzpudding roch verlockend. Endriel konnte ihren Hunger kaum noch zügeln, doch als Xeah eine Schüssel mit rohen Fleischstücken abstellte, verging ihr der Appetit sehr schnell. »Äh, für mich kein Fleisch bitte.«
Ein Lächeln erschien auf Xeahs Schnabel. »Es ist für Keru.«
»Oh. Na klar.«
Als gedeckt war, nahmen sie alle Platz. Endriel und Nelen saßen auf der Fensterseite; Endriel im Schneidersitz auf einem Kissen und Nelen direkt auf der Tischplatte.
Xeah und Keru ließen sich ihnen gegenüber nieder. Die Draxyll murmelte ein kurzes Gebet, dann wurden Schüsseln und Teller herumgereicht. Es war Endriel fast peinlich, als sie sich ihren Teller vollschaufelte. Aber schließlich lag ihre letzte Mahlzeit über fünfzehn Stunden zurück.
Xeah aß nur wenig. Alle paar Minuten führte sie ihren Teller an den geöffneten Schnabel und ihre dünne, lange Zunge zog das Essen herein. Sie kaute gemächlich wie eine Kuh.
Auch Keru ließ sich Zeit, leider. Endriel fand es wenig appetitlich mitanzusehen, wie er das Fleisch in Fetzen riss und die Stücke herunterschluckte und hin und wieder mit
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