Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
haben Monate gebraucht, sie zu reparieren und für die große Reise auszurüsten.«
Endriel flüsterte fast: »Aber diese Reise hat nie stattgefunden.«
Keru neigte sein weißgraues Haupt.
»Nein.« Es tat Xeah sichtlich leid. »Wenige Tage bevor wir ablegen wollten, verschlimmerte sich Yaneks Zustand. Er konnte das Haus nicht mehr verlassen. Die Krankheit entwickelte sich bei ihm ungewöhnlich schnell. Ihm blieb ... nicht mehr viel Zeit. Und deswegen schickte er Keru los, um dich zu finden.« Die Heilerin legte eine Hand auf den bepelzten Arm des Skria. »Er ist durch ganz Kenlyn gereist, hat alle großen Städte und Dutzende kleine abgesucht. Aber es gab keine Spur von dir. Als Keru zurückkehrte, um über seine bisherigen Reisen zu berichten, kam er gerade rechtzeitig, sich von Yanek zu verabschieden. Das war vor drei Wochen.«
Kerus Auge schloss sich. Endriel erkannte, dass er seine Atmung nur noch sehr schwer unter Kontrolle halten konnte. Sein Brustkorb hob und senkte sich und schien bei jedem Atemzug explodieren zu wollen. Sie war viel herumgekommen in drei Jahren und sie hatte die Trauerschreie von Skria gehört – so mächtig, dass sie eine Lawine auslösen konnten. Zum ersten Mal glaubte sie, den Schmerz zu spüren, der sich tief in Kerus Innerem verbarg. Unter einem Panzer aus Eis ...
»Hat er sehr leiden müssen?«, fragte sie.
»Er hat seine Schmerzen mit Würde ertragen«, erwiderte Xeah. »Aber sein Tod hat uns sehr getroffen. Wir haben einen wunderbaren Freund verloren.«
»Trotzdem hast du die Suche nach mir nicht aufgegeben.«
Keru blickte verblüfft auf, als er merkte, dass Endriel mit ihm sprach.
»Ich hatte Yanek versprochen, dich zu finden. Und ich halte meine Versprechen.«
»Warst du auch ein Friedenswächter?«, wollte Nelen wissen.
»Nein.«
»Aber wie kamst du dann hierher?«, fragte Endriel.
»Das ist eine lange Geschichte.«
Vergiss, dass ich gefragt habe .
»Keru kam in euer Haus, etwa ein halbes Jahr nachdem ich deinem Vater in Gaidaan zum ersten Mal begegnete«, sagte Xeah. »Er ging Yanek zur Hand, wo er nur konnte und half ihm bei der Reparatur, oder vielmehr Restauration, der Korona .«
Aber das erklärt noch lange nicht, was ihn hierher verschlagen hat , dachte Endriel. Wer bist du, Keru?
»Es gehört jetzt dir«, sagte Xeah. »Das Schiff.«
»Ist es denn fertig?« Nelen spreizte neugierig die Flügel.
»Ja, so gut wie.«
»Kann ich es sehen?«, fragte Endriel. Ihre Handflächen waren plötzlich feucht. »Ich meine, jetzt?«
8. Korona
»Was ist das stolzeste Schiff ohne seinen Kapitän?«
– Sprichwort
Endriel und Nelen halfen ihren Gastgebern den Tisch abzudecken, dann folgten sie Keru und Xeah über den gepflasterten Hof des Hauses. Endriel hatte sich eine Strickjacke übergezogen und Nelen suchte Schutz vor der Kälte in der angenähten Kapuze.
Sie marschierten zur großen Scheune. Keru zog die drei Meter hohe Tür auf und sofort aktivierten sich im Inneren des Holzbaus dutzende Lichtkugeln. Als Endriel eintrat, klappte ihr Kiefer vor Staunen herunter.
Nelen nahm ihr das Wort aus dem Mund: »Wow!«
»Das ist sie«, sagte Xeah. »Die Korona .«
Der helle Schein der Lichtkugeln schimmerte auf dem Holz- und Stahlkörper eines winzigen Drachenschiffs – zumindest winzig im Vergleich zu den Schiffen, die Endriel im Laufe ihres Lebens gesehen hatte. Dennoch war es groß genug, um fast die gesamte Scheune auszufüllen. Die Flügel waren zu winzigen Stummeln eingezogen, sodass die tonnenförmigen Steuerdüsen dicht am Rumpf lagen. Es verlieh dem Schiff ein kompaktes, gestauchtes Aussehen.
Dennoch spürte Endriel tief in seinem Inneren eine unbändige Kraft, die nur darauf wartete, entfesselt zu werden. Vollkommen fasziniert von der Maschine, die vor ihr aufragte, trat sie näher. Als sich alle in der Scheune befanden, schloss Keru die Schiebetür wieder.
Endriels Blick glitt über das Schiff. Ihr Schiff. Die dunkle Holzverkleidung sah nagelneu aus, Politur und Imprägnierung schienen nur wenige Stunden alt zu sein. Sie konnte sogar noch den Lack riechen.
Es gab drei Decks, erkennbar an den Reihen von Bullaugen. Endriel zählte sieben Bullaugen auf der ihr zugewandten Seite: sechs in Zweierreihen über den eingezogenen Flügeln und eines vorn am Bug.
Über das vordere Drittel des Oberdecks war eine funkelnde Glaskuppel gestülpt. Darunter lag die Pilotenkanzel, von der sie leider von hier unten nicht mehr erkennen konnte. Das Heck fiel leicht schräg ab
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