Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
Individuum? Der Schattenkaiser persönlich?«
Lass endlich die dummen Sprüche , ermahnte sie Nelens Blick.
»Sie kennen nicht zufällig diesen Mann?« Sergeant Dailin zog einen Geisterkubus aus seiner Gürteltasche und reichte ihn Endriel. Im Inneren des Artefakts formte sich ein Bild.
Sprachlos starrte sie den Kristallwürfel in ihrer Hand an. Er war es! Der Junge mit den Smaragdaugen! Sie würde ihn unter tausenden wiedererkennen: hübsch, mit ernstem Gesicht, hoher Stirn und mittellangen Haarsträhnen, die über seine Augenbrauen hingen. Die Zeichnung war nach ihren eigenen Angaben angefertigt worden. Aber warum machen sie Jagd auf ihn?
Nelen schlug aufgeregt mit den Flügeln. Sie dachte also das gleiche. Schließlich zwang sich Endriel, ihren Blick von der Aufnahme loszureißen und gab den Kubus zurück. »Tut mir leid«, sagte sie mit belegter Stimme. »Ich kenne ihn nicht.« Aber kann ich den Kubus behalten?, wollte sie hinzufügen, ließ es jedoch bleiben.
»Und Sie?« Dailin sah Nelen an, doch die schüttelte den Kopf. »Leider nein«, log sie.
»Darf man erfahren, warum Sie ihn suchen?« Endriel bemühte sich, so unbeteiligt wie möglich zu klingen. »Wofür diese ganzen Sicherheitsvorkehrungen? Was hat er ausgefressen?«
Dailin steckte den Geisterkubus wieder ein und warf seinem flatternden Kollegen einen kurzen Blick zu. »Es tut mir leid, Kapitän Naguun, aber darüber dürfen wir keine Auskunft geben.« Sein Tonfall machte klar, dass er es selbst nicht wusste.
»Ich verstehe«, versicherte Endriel. »Trotzdem viel Glück bei Ihrer Suche.«
Dailin räusperte sich. »Folgen Sie nun unserem Schiff, Kapitän Naguun. Wir werden Sie zum Ringhafen geleiten.« Er und sein Kollege wandten sich wieder in Richtung Tür.
»Zu freundlich.« Endriel lächelte zuckersüß und fragte sich, ob ihr dieses Privileg nur zu teil wurde, weil sie die Tochter eines Weißmantels war oder weil es zu den üblichen Sicherheitsmaßnahmen gehörte.
Sergeant Tyen schwirrte davon, Dailin folgte ihm. Als die beiden verschwunden waren, schloss Endriel die Tür, lehnte sich gegen die Wand und starrte gedankenverloren vor sich hin.
Nelen flatterte vor ihren Augen. »Warum sind sie hinter dem Jungen her? Was ist mit dem Purpurdraxyll? Wollen sie den etwa frei herumlaufen lassen?«
»Genau das frage ich mich auch gerade«, murmelte Endriel. »Scheint so, als wäre der Junge aus irgendeinem Grund wichtiger für sie. Ich wüsste nur zu gern, weshalb.«
»Und?«, fragte Xeah, als die beiden wieder auf die Brücke traten.
»Wir können weiterfliegen«, erklärte Endriel. »Wir sollen ihnen bis zum Hafen folgen.«
Keru überließ ihr das Steuer. »Haben sie dir wenigstens verraten, was da draußen los ist?«
»Sie suchen jemanden.« Einen alten Bekannten. Endriel machte eine wegwerfende Geste, mit der sie hoffte, auch ihre eigenen Gedanken zu klären. Vergeblich. »Es ist nicht wichtig. Hauptsache, wir können endlich andocken!«
» Korona , Sie erhalten Landeerlaubnis für Dock 21. Wir haben bereits den Hafenmeister verständigt, damit Sie die nötigen Formalitäten regeln können. Einen angenehmen Aufenthalt in Teriam. Xarai, Ende.«
Kapitän Sronns Projektion löste sich auf und kurz darauf drehte das Friedenswächterschiff bei, während die Korona ihre Flügel ausfuhr und zwischen den weißen Drachenschiffen hindurchtauchte, die links und rechts, über und unter ihr in der Luft standen oder ihre Runden drehten. Ihre Flügelschatten verdunkelten sekundenlang die Brücke des kleinen Kurierschiffes.
Keru übernahm das Landemanöver. Er brachte das Schiff langsam an die Schwebende Stadt heran, die vor ihren Augen immer größer und größer zu werden schien.
Endriel hörte ihr Herz klopfen, sie spürte Schmetterlinge im Bauch, wie bei einem bevorstehenden Beutezug. Aus dieser Perspektive nahm ihr der Anblick der Hauptstadt, dieses unglaublichen Artefakts, den Atem. Sie stand vorn an der Glaskuppel und beobachtete, wie sich die Korona der weißen Fläche des Ringhafens näherte.
Nelen saß natürlich auf ihrer Schulter und beobachtete sie mit stillem Lächeln, da sie genau wusste, wie Endriel sich fühlte. Sie selbst schlug unruhig mit den Flügeln.
Xeah stand neben den beiden. Die Draxyll blickte durch das kristallklare Glas und ihr Horn produzierte einen ehrfürchtigen Laut, aber ihre Stimme klang müde wie immer, als sie sagte: »Beeindruckend ...«
Die angedockten Drachenschiffe hatten ihre Flügel eingezogen und lagen
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