Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
verschränkte die Arme. Grao und Ri-Yur standen neben ihr.
Kai knöpfte den dunklen Kapuzenmantel zu, den die Kinder für ihn gestohlen hatten. Das fadenscheinige Ding spannte an den Schultern und war so lang, dass er fast über den Saum stolperte. Allerdings verdeckte es seine zerrissene, blutbefleckte Kleidung, also beschwerte er sich nicht. »Es kann losgehen«, sagte er entschlossen.
»Dann komm.« Grao deutete den finsteren Tunnel hinab. Mit der Lichtkugel in der Hand, schritt sie der Gruppe voran. Sie verließen das Lager der Schwarzen Ratten und traten ihren Weg durch den Untergrund an. Ri-Yur bildete die Nachhut, Kai und Orryn marschierten in der Mitte. Das Mädchen zupfte frech an seinem Mantel. »Willst du gar nicht wissen, wo wir das Ding herhaben?«
Er lächelte. »So wie du fragst, ist es wahrscheinlich besser, wenn ich das nicht weiß, oder?«
»Ganz genau.« Sie grinste ihn an.
»Leise!«, knurrte Grao über ihre Schulter. Ihre Katzenaugen blitzten auf. »Die Weißmäntel streunen mittlerweile auch hier rum!«
»Ist ja gut!«, zischte Orryn zurück.
Kai erinnerte sich, wie die Kinder ihm berichtet hatten, dass die Friedenswächter ihre Suche mittlerweile auf die Kanalisation ausgeweitet hatten – was die Schwarzen Ratten als eine eklatante Missachtung ihres Territorialrechts betrachteten. Es war nur eine Frage von Stunden, vielleicht Minuten, bis die Ordnungshüter ihr Lager entdeckt hätten. Das Timing war also günstig, wenn auch denkbar knapp.
Ihr Weg führte sie durch einen Irrgarten aus lichtlosen Tunneln und verwirrenden Kreuzungen, vorbei an offenen Kloaken, deren Gestank Kai fast den Verstand raubte.
»Eine Menge Scheiße, was?«, sagte Ri-Yur hinter seinem Rücken.
»Kann man so sagen.«
»Tja, das fließt jetzt alles in die Wiederaufbereiter. Ekliger Gedanke, Wasser zu trinken, das andere mal ausgepisst haben, hä?«
»Ich sagte, Ruhe!«, schnaubte Grao.
Das hintergründige, maschinelle Surren der Levitationsmaschinen der Stadt mischte sich mit dem Geräusch fließenden Wassers. Ratten flohen quiekend vor dem grellen Schein der Lichtkugel. Die Kinder führten Kai mit erstaunlicher Sicherheit durch die stinkende Finsternis. Sie kletterten über Steigeisen hinab oder hinauf, durchquerten schornsteinartige Schächte oder balancierten auf schmalen Brücken über dem Abwasser, ohne dass sie sich verliefen oder untereinander absprechen mussten. Dies war ihr Reich, ihr schmutziger, kleiner Palast, wie Orryn mal gesagt hatte.
»Ruhig!«, zischte Grao. Sie deutete nach oben. »Weißmäntel!«
Orryn zog Kai reflexartig zur Seite. Alle spitzten die Ohren und lauschten. Kai hörte Schritte kratzen, und gedämpfte Stimmen ganz in der Nähe. Er hielt den Atem an. Einen Moment lang fürchtete er, sein lauter Herzschlag könne sie verraten.
»In einem Tunnel über uns«, gab Grao nach einer Minute die Entwarnung. »Sie sind nah. Verdammt nah.«
Kai atmete auf; er wollte etwas sagen, aber Orryn verhinderte dies, indem sie ihren schmutzigen Finger auf seine Lippen legte und stumm den Kopf schüttelte.
Grao winkte sie weiter.
»Was macht ihr, wenn die Friedenswächter euren Unterschlupf finden?«, fragte Kai leise.
Orryn zuckte leichtfertig mit den Achseln. »Wir suchen uns einen neuen, was denkst du denn?« Dann grinste sie wieder. »Und jetzt tu, was unsere weise Anführerin sagt, und halt die Klappe, ja?«
Kai lächelte. »Zu Befehl.«
Es war bereits dunkel draußen, als sich Endriel von dem Diwan erhob. »Es ist spät. Die anderen fragen sich sicher schon, wo ich bleibe.«
Telios stand ebenfalls auf und nickte. Beide hätten gern mehr Zeit miteinander verbracht.
»Werden wir uns wiedersehen?«, fragte sie.
»Natürlich. Wie immer.« Telios zeigte ein Lächeln. »Bis dahin wünsche ich dir alles Gute, Endriel.« Er geleitete sie zur Tür. »Ich hoffe, deine Wünsche gehen in Erfüllung.«
»Viel Glück bei eurer Suche, Andar. Wenn du den Jungen gefunden hast, dann halt ihn fest. Ich würde ihm gern ein paar Fragen stellen, bevor der Gouverneur ihn kriegt, in Ordnung?«
Er lachte. »Ich sehe, was sich machen lässt.«
Sie umarmten sich zum Abschied. Telios befahl einem seiner Leute, Endriel durch die verzweigten Korridore der Dragulia zu geleiteten.
Als sie auf den Ringhafen trat, blinkten Sterne am samtblauen Himmel und leuchtende Schwebebojen wiesen anfliegenden Schiffen den Weg nach Teriam. Lichtschweife von umherschwirrenden Weißmantelschiffen vervollständigten das Bild.
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