Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
würde er oben bei Kapitän Naguun auf der Brücke stehen und ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen, woraufhin sie ihm mit strahlendem Lächeln erklären würde, wie unentbehrlich er für sie war. Und dann ... dann – er hatte keine Ahnung, was dann. Aber zum ersten Mal seit langer, langer Zeit freute er sich auf die Zukunft. Ein neues Leben lag vor ihm, ein schöneres, besseres Leben. Mittlerweile konnte er sogar an seine Vorstellung von vorhin denken, ohne vor Scham im Boden zu versinken.
Dann ertönten draußen Schritte. Miko blickte auf: Durch die offene Tür sah er jemanden die Gangway erklimmen. Für den Skria namens Keru war die Gestalt zu klein, zu schmächtig und sie besaß auch nicht den Watschelgang der Draxyll Xeah, die er vorhin flüchtig kennengelernt hatte. Das konnte nur eines bedeuten: Kundschaft !
Endlich hatte jemand den Weg hierher gefunden! Und er war derjenige, der Kapitän Naguun die frohe Botschaft überbringen durfte!
Beruhig dich , Miko! Nur nicht die Nerven verlieren! Frag ihn erstmal, was er will.
Ein Wesen in einem langen Kapuzenmantel trat ein und sah sich kurz um.
Die Dinger scheinen wieder in Mode zu kommen , dachte Miko. Der Skria hatte vorhin einen ähnlichen Mantel getragen.
Die Kapuze wandte sich ihm zu. Darunter erkannte er einen jungen Mann; einen Menschen mit schmalem Gesicht und blonden Strähnen, die ihm in die hohe Stirn hingen. Bartstoppeln übersäten das markante Kinn.
Irgendwie kommt der mir bekannt vor , dachte Miko, obwohl er sich sicher war, den Kerl noch nie zuvor gesehen zu haben. Jetzt glotz ihn nicht so an, frag ihn, was er will! »Womit kann ich dienen, der Herr?« Er bemühte sich, so abgebrüht wie möglich zu klingen, als würden sie alle fünf Minuten Kundschaft empfangen.
»Ich möchte mit Kapitän Naguun sprechen. Gehörst du zu ihrer Mannschaft?«
»Äh, ja. Ich ... äh, Kapitän Naguun ist in ihrem Quartier ... Ich werde ihr Bescheid sagen!«
Der Kapuzenmann nickte. »Gut. Bitte beeil dich.«
Miko sprang von der Treppe zur Tür von Endriels Quartier. Er klopfte einmal, bevor er die Tür aufriss. »Kapitän, ich ...«
Er verstummte, denn Endriel Naguun stand nur mit Hose und Brusttuch bekleidet vor ihm. Geschwind zog sie sich ein Wollhemd über. Als ihr Kopf wieder zum Vorschein kam, sandte sie ihm einen Blick, der Glas geschmolzen hätte. »Das nächste Mal wartest du, bis ich dich reinrufe, verstanden?«
»Ver-Verstanden, Kapitän!« Puterrot angelaufen, hatte Miko mit der wenig taktvoll agierenden Blüte seiner Männlichkeit zu kämpfen. »Ich, äh ... da ist jemand, der Sie sprechen möchte. Ich glaube, es ist ein Kunde!«
Das stimmte sie sofort versöhnlich. Sie sah sich kurz um und schob schnell mit dem Fuß die liegengelassene Kleidung unter das Bett. »Worauf wartest du noch, Miko? Lass ihn rein!«
In dem Moment sah sie bereits eine wesentlich größere Person hinter dem Jungen stehen. Und für einen Moment glaubte sie, unter der Kapuze ein Paar grüner Augen wiedererkannt zu haben, an das sie sich bis an ihr Lebensende erinnern würde.
Endriel hörte ihr Herz laut klopfen. »Miko«, begann sie heiser. »Hol uns doch bitte etwas zu trinken. Tee.«
»Zu Befehl, Kapitän!« Er salutierte, stürmte in den Korridor und rannte die Treppe hinab.
Endriel und der Fremde waren allein. Elektrizität lag in der Luft.
»Wie ... wie hast du es an den Weißmänteln vorbeigeschafft?«
»Ich hatte Hilfe von ein paar Freunden«, sagte er mit warmer Stimme, die sie zum letzten Mal vernommen hatte, als er sie um Hilfe angefleht hatte. Schließlich nahm er die Kapuze ab.
Er schien sich seit Tagen nicht rasiert zu haben. Sein ungewaschenes Haar fiel ihm hartnäckig in die Stirn und in seinen Augen lag dieser unerklärliche Glanz, von dem Endriel sich nicht losreißen konnte.
Sie hatte noch nie an Schicksal oder Vorbestimmung geglaubt. Aber jetzt, in dieser Sekunde, war sie so nah daran wie noch nie, ihre Meinung zu ändern. Unzählige Fragen brannten ihr auf der Zunge. Doch nun, wo sie in seine Augen sah, war sie vollkommen sprachlos, während eine Million Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzten.
Sie konnte nicht anders. Sie musste sich setzen.
Er zog die Tür zu und blieb an ihrem Schreibtisch stehen. »Es tut mir leid, dass ich beim letzten Mal einfach so verschwunden bin. Du und deine Freundin habt mir mein Leben gerettet. Ich wollte mich dafür bedanken.«
»Keine Ursache«, murmelte Endriel abwesend. Dass er – der geheimnisvolle Junge mit
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