Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
Trotzdem war er sicher, die ständige Präsenz eines anderen wahrzunehmen. Ein seltsam vertrautes Gefühl.
Sein Blick flog von Gesicht zu Gesicht: Die beiden jungen Menschen auf der linken Straßenseite kamen nicht in Frage, ebensowenig sein graufelliger Artgenosse, der unter einer Arkade hockte, und auch nicht die Gruppe Draxyllbarden, die mit Instrumenten beladen an ihnen vorbeizogen oder die zwei Yadikinder, die über sie hinwegflatterten. Keiner von ihnen kam ihm bekannt vor, keiner war ihm während ihres Weges vom Tempel hierher schon einmal aufgefallen. In Windeseile suchte er alle Fenster zu beiden Seiten ab, jedoch ohne etwas auszumachen.
Doch gab es viele Schatten hier; zu viele. Und er war sich sicher: Irgend jemand hat mich beobachtet, beobachtet mich noch.
»Lass uns weitergehen«, brummte er, als ihm klar wurde, dass er nur unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich lenken würde, wenn er noch länger hier herumstand. »Vielleicht habe ich mich geirrt«, sagte er, ohne eine Sekunde lang daran zu glauben.
Xeah nickte langsam. »Ja, vielleicht ...« Sie wusste, dass Keru Feinde hatte. Mächtige Feinde. Aber würden sie es wagen, in aller Öffentlichkeit anzugreifen? Besser, sie forderten es nicht heraus.
Keru führte sie fort von der Schwarzer-Drachen-Straße, zur wesentlich schmaleren Roter-Lotus-Straße, die zwischen Lagerhausreihen hindurch zum Ringhafen führte. An ihrem Ende waren die Docks und die hellerleuchtete Hafenstraße zu erkennen. Hier war nur noch eine Hand voll Leute unterwegs, die meisten davon erschöpfte Dockarbeiter auf dem Heimweg.
Keru blickte sich unentwegt um. Das Gefühl, dass jeder seine Schritte beobachtet und möglicherweise aufgezeichnet wurde, brannte wie Säure auf seinem Fell.
»Keru.« Xeah berührte seinen Arm. Er blickte auf. Keine zwanzig Meter vor ihnen schwärmte ein Trio Friedenswächter über die Straße. Einer davon, eine kräftige Menschenfrau mit dunkler Haut und kurzem, zu dünnen Zöpfen geflochtenem schwarzem Haar, marschierte direkt auf das ungleiche Paar zu.
Xeah hörte Kerus leises Fauchen. Der Weißmantel hatte sie bereits gesehen; wenn sie jetzt umdrehten, machten sie sich nur verdächtig. »Beruhige dich«, sagte die Draxyll. »Ich werde mit ihr reden.«
Die Frau trat vor die beiden, während im Hintergrund ihre Ordensbrüder eine Schar Passanten um sich sammelten. »Guten Abend, Bürger«, sagte sie knapp, wobei eine Hand wichtigtuerisch auf dem Griff ihres Sakedo lag. »Ihr Ziel?«
»Dock 21«, antwortete Xeah liebenswürdig. »Wir wollen zurück auf unser Schiff.«
Die Menschenfrau nickte verstehend, dann aktivierte sie einen Geisterkubus vor Xeahs Augen. Das Bild eines anderen Menschen, eines Mannes, materialisierte sich: Er mochte etwa in Endriels Alter sein und blickte Xeah und Keru ernst entgegen. »Haben Sie diese Person schon einmal gesehen?«
Xeah studierte das Bild blinzelnd, dann gab ihr Horn einen abwehrenden Ton von sich. »Nein«, antwortete sie wahrheitsgemäß.
Die Friedenswächterin sah zu Keru auf. Sie versuchte mit zusammengekniffenen Augen im Schatten der Kapuze sein Gesicht zu erkennen. »Und Sie?«
»Nein«, brummte Keru. Xeah hoffte, dass sie die einzige war, die die Gereiztheit ihres Freundes bemerkte.
»Sind Sie sicher?«
»Todsicher«, brummte Keru, die erste Silbe scharf betonend.
Die Frau verstaute den Kubus in ihrer Gürteltasche, unfähig, ihr Misstrauen zu verbergen. »Würden Sie bitte die Kapuze abnehmen, Bürger?«
Keru zögerte. Xeah konnte den Zorn, der in ihm kochte, beinahe körperlich spüren. Wenn er jetzt seine Verhüllung fallen ließ und sie noch beobachtet wurden ...
Widerwillig hob er die Pranken und zog die Kapuze zurück: Wind spielte mit seiner geisterhaft weißen Mähne. Als in diesem Moment ein Drachenschiff kreischend über Teriam hinwegraste, ließen die Flammen seiner Antriebe Kerus ungeblendetes Auge wie ein heißglühendes Juwel funkeln.
Die Friedenswächterin wich eingeschüchtert zurück. Wieder einmal war Xeah froh, dass Keru zu ihren Freunden zählte.
»Ich danke Ihnen, Bürger«, sagte die Menschenfrau, um Fassung bemüht.
Keru zog die Kapuze wieder über.
»Es ist eine Belohnung von sechstausend Gonn für die Ergreifung dieses Mannes ausgeschrieben«, erklärte die Friedenswächterin tonlos. Sie wandte sich von Keru ab und sah Xeah an. »Als Bürger von Kenlyn sind Sie verpflichtet, uns Meldung zu machen, falls Sie ihn sehen.«
»Selbstverständlich«, versicherte Xeah
Weitere Kostenlose Bücher