Die Kenlyn-Chroniken 01 - Drachenschiffe ueber Kenlyn
Du lügst, ohne rot zu werden.«
»Das musste leider sein«, murmelte Endriel. Aus dem »flauen Gefühl« war mittlerweile eine kalte Hand geworden, die ihr den Magen zerquetschte. Sie holte tief Luft. Es wird schon schiefgehen. So oder so. »Äh, Miko ...«
»Ja, Kapitän?«
»Tust du mir einen Gefallen?«
»Jeden, Kapitän!«
»Fahr bitte die Gangway ein, damit wir starten können. Und wenn du schon auf dem Weg bist, bring doch unserem Gast etwas zu essen.«
»Zu Befehl, Kapitän!« Der Junge salutierte und ließ Nelen und Endriel allein.
»Ich hoffe, du weißt, was du tust, Endriel.«
»Das hoffe ich auch.« Sie hielt inne und lauschte. Sie hörte das Einfahren der Gangway und wie Mikos Schritte auf dem Korridor schließlich verstummten. »Also dann ...« Sie hob den Blick. »Lichtkugeln deaktivieren!« Augenblicklich senkte sich Dunkelheit über die Brücke. Auf der einen Seite zeigte die Glaskuppel Straße und Lagerhäuser, auf der anderen Sterne und die Lichter der Städte am Meeresufer. Die Kontrollanzeigen der Steuerkonsole blinkten wie bunte Edelsteine.
Endriel deutete auf einen Schalter. »Wenn ich es sage, schaltest du die Magnetanker aus.«
Eher widerwillig ließ sich Nelen auf der Konsole nieder und legte ihre winzigen Hände um den Schalter. »In Ordnung«, sagte sie mit belegter Stimme.
Endriels Finger zitterten vor Nervosität. Sie schüttelte sie, dann legte sie die Hände auf das Steuerrad. »Auf mein Kommando!«
Eine ganze Flotte Friedenswächter gegen ein einzelnes, unbewaffnetes Schiff. Wenn die Weißmäntel sie erwischten, waren sie geliefert. Dann war der Traum ausgeträumt.
Also gab es nur eins zu tun: sich nicht erwischen lassen. Und das alles nur wegen eines Kerls , dachte Endriel. »Anker lösen!«
Nelen betätigte den Schalter. Die Magnetanker lösten sich einer nach dem anderen – und die Korona fiel wie ein Stein vom Rand der Schwebenden Stadt, tiefer und tiefer, der Oberfläche des Kleinen Meeres entgegen.
Endriels zitternde Hand lag auf dem Hebel, der die Antriebe zündete. Sobald die vier Lichtschweife aus den Düsen aufblitzten, würden sie so subtil wie ein Leuchtturm sein.
Vor ihr breitete sich die schwarze Fläche des Ozeans aus. Nelen blickte durch das Kuppeldach. Dort, Hunderte von Metern über ihnen, stand der kreisrunde Umriss von Teriam am Nachthimmel wie eine riesige, schwarze Sonne, umgeben vom leuchtkäferartigen Gewirr der Schwebebojen. »Scheiße«, flüsterte sie. Es gab keinen Weg mehr zurück.
Und das Schiff fiel und fiel.
Wenn sie zu lange zögerte, dessen war sich Endriel in jeder Sekunde bewusst, würden sie direkt in die eiskalten Fluten stürzen und versinken wie eine Bleiente –
Jetzt !
Kreischend zündeten die Antriebe: Vier saphirfarbene Flammensäulen zerrissen die Dunkelheit, als das kleine Drachenschiff zum Leben erwachte. Nur wenige Meter über der Wasseroberfläche blieb die Korona stehen, als wäre die Zeit eingefroren – und schoss in der nächsten Sekunde über das Meer hinweg, als Endriel das Schubpedal bis zum Anschlag durchtrat. Die Wucht der Antriebe teilte die oberen Wassermassen wie ein Pflug aus blauem Licht. Das ganze Schiff surrte und vibrierte unter der Macht der aufgewandten Energie.
»Flügel ausfahren!«
In ihrer Nervosität hätte Nelen beinahe den falschen Schalter gedrückt. Die Schwingen der Korona entfalteten sich und brachten die Steuerdüsen in Position.
Also dann ... Endriel riss das Steuer herum. Die Jagd ist eröffnet!
Xeah löschte die Lichtkugel und ließ sich bäuchlings und mit ausgestreckten Gliedern auf ihrer Schlafmatte nieder. Ihr horngekrönter Schädel ruhte auf einem weichen Kissen. Ihre Nüstern sogen entspannt die Luft ein. Alles war still, bis sich plötzlich die Antriebe aktivierten und ein Zittern durch das Schiff ging. Ein erleichtertes Lächeln erschien auf Xeahs Schnabel: Endriel hatte die Korona ausgezeichnet unter Kontrolle, wenn man bedachte, dass sie heute Nachmittag ihre erste Flugstunde genossen hatte. Du kannst stolz auf sie sein, Yanek .
Doch dann hörte sie das Geräusch von Wasser, das von einer gewaltigen Macht zerrissen wurde. Xeah öffnete die Augen. Wasser? Mühsam erhob sie sich, schlich zum nächsten Bullauge und zog den Vorhang zur Seite. Draußen sah sie den linken, voll ausgefahrenen Flügel der Korona . Aus der Steuerdüse strömte eine Flammenlanze, die Xeahs Quartier mit einem blauen Schimmer überzog. Die Wucht der Antriebe riss die Wasseroberfläche unter dem
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