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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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mit den Lehrerinnen wohnten, damit unsere Eltern uns behütet und bewacht wussten. Die älteren und berühmten Lehrer hatten schöne Villen in der Stadt. Die ganz jungen Lehrer und Ärzte, die lebten ebenfalls auf dem Gelände der Schule und aßen mit uns im Speisesaal. Die Diskussionen, die da geführt wurden! Und manchmal ziemlich raue Scherze   …» Danielle lächelte in sich hinein. «Ich hätte lieber dort bleiben und weiter Lehrbücher verfassen sollen.»
    «Dann hast du das Buch dort geschrieben?», rief Jeanne.
    «Welches Buch?», fragte Gebba.
    «Oh, sie hat ein wunderbares Buch über Frauenleiden geschrieben! Ich wünschte, jeder Arzt und jede Hebamme hätte es. Wie viel besser könnte den Frauen dann geholfen werden!», schwärmte Jeanne.
    «Ach, das ist nicht mein Verdienst», wehrte Daniellebescheiden ab. «Ich hatte ja in Salerno eine riesige Bibliothek zur Verfügung mit den Schriften der berühmtesten Gelehrten: Hippokrates, Aristoteles, der Jude Maimonides; Soranus, der Hofarzt bei Königin Cleopatra war, Johannes Akturios, Ibn Ruschd aus dem alten Bagdad und Abulkasim aus Córdoba; eine lateinische Übersetzung der Pharmakologie des Dioskurides und sogar indische Schriften hatten sie dort   …»
    Annes Augen wurden groß und sehnsüchtig. «Ach, wenn ich doch nur einmal in eine solche Bibliothek käme!»
    «Und hast du alle diese Autoren gelesen?», fragte Jeanne beeindruckt. Die Schwestern lauschten atemlos.
    Niemand bemerkte, wie Gebba aufstand und leise hinausging.
    «Ich habe sie alle gelesen und zusammengetragen, was sie über die weiblichen Organe und über Frauenleiden geschrieben haben. Bei allem Respekt muss ich doch sagen: das war nicht eben viel. Sie haben sich nicht allzu sehr für Frauen interessiert, doch aus den Bruchstücken und dem, was die Lehrerinnen mir beigebracht haben, ergab sich ein ziemlich genaues Bild.»
    «Ja, wärst du doch Lehrerin geworden!»
    «Warum hast du es nicht getan?»
    «Ich fand, es sei nicht genug, sich bequem in der Welt der Wissenschaft und Lehre zu bewegen. Ich meinte, das Wissen hinaustragen zu müssen. Ich wollte es dorthin bringen, wo es am nötigsten war, dorthin, wo es den Frauen nicht zur Verfügung stand. Ja, vielleicht war ich auch stolz. Ich meinte, mit meiner königlichen Lizenz in der Tasche stünde mir nun die ganze Welt offen. Ich wollte der Welt beweisen, dass auch Frauen gute Ärztinnen sein können. Und weil ich geglaubt habe, dass ich mit meinem frischerworbenen Wissen den vielen Frauen helfen sollte, die von Kurpfuschern undabergläubischen alten Weibern zu Tode behandelt wurden und immer noch werden. Ich wollte es der Welt zeigen.»
    «Und was war dann?»
    «Dann bin ich nach Paris gegangen. Der Stern von Salerno ist im Sinken begriffen. Die Universität von Neapel nimmt der Schule mehr und mehr Studenten fort. Und man sprach viel von der Sorbonne. Aber an den französischen und alemannischen Universitäten sind Frauen nicht erwünscht.
    Ich ging also nach Paris. Ich nahm Abschied von meinen Eltern und Brüdern und schiffte mich auf einer der großen Galeeren nach Genua ein. Ich kann euch sagen, dass ich bei der Gelegenheit das salernitanische Rezept gegen Seekrankheit ausprobiert habe, Wein mit Seewasser vermengt, aber es hat nicht geholfen! Ach, was habe ich gelitten auf der langen Überfahrt. Und immerzu war da das Geräusch der langen Ruder, die ins Wasser eintauchen, tief durchziehen und tropfend wieder hochgezogen werden im stetigen Rhythmus wie riesige Libellenflügel. Als ich in Genua an Land ging, da wankte der feste Boden unter meinen Füßen, so sehr hatte ich mich an die ständige Bewegung gewöhnt. Und ich hatte noch lange das Rauschen und Tropfen der Ruder in meinen Ohren und das Dröhnen der Trommel. Von Genua ging es nach Nizza und dann nach Marseille. Mein Vater hatte mir Papiere für einen Kaufmann mitgegeben, mit dem er Geschäfte machte. Der nahm mich sehr freundlich auf. Wart ihr je in Massilia? Was für eine Masse von Häusern, was für ein Schmutz und was für ein Lärm, und was für ein großartiges Abenteuer für eine junge Frau! Kommt man mit dem Schiff darauf zu, denn gleitet man zunächst entlang an zerklüfteten grauweißen Felsen, an die das Meer gischtet. Zahlreiche Einschnitte hat es ins Land gefressen, so tief, dass sich ganze Flotten von Seeräubern darin verbergen können. Und dann taucht die Stadt auf, ein Häusermeer. Die Hafenmauernumgürten das Wasser, Leuchttürme stehen beiderseits der

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