Die Ketzerbibel
darauf gefreut», fing der Abt wieder an.
«Das ist wahr, Hochwürden. Das glaube ich auch nicht. Ebenso wenig denke ich aber, dass die Beginen die Hand im Spiel hatten», entgegnete Carolus.
«Das werden wir noch feststellen.»
«Herr Marius sagt, er habe das Kind im Arm gehalten, und es sei gesund gewesen.»
«Wo ist es dann? Für mich bleibt da nur Hexerei!» Abbé Grégoire war wieder in seinem Element.
«Erlaubt mir bitte, dass ich mich weiter umhöre in der Stadt», bat Carolus bescheiden.
«Wie Ihr wünscht. Ich verstehe schon, dass Ihr diese Begine reinwaschen wollt. Mestre Marius hat ebenfalls für sie gesprochen. Doch wenn der Säugling nicht bald gefunden wird, dann werden wir die drei Frauen befragen müssen,allen voran natürlich diejenige, die einen so zweifelhaften Ruf hat.»
«Ja, das verstehe ich. Ich bitte Euch nur um der Gerechtigkeit willen: Lasst mir noch einen Tag Zeit, um die Wahrheit herauszufinden. Ihr wollt doch keine Unschuldige foltern lassen. Als Arzt habe ich oft die Folgen solcher Befragungen gesehen, und sie waren nicht rückgängig zu machen, selbst wenn sich anschließend die Unschuld der Beschuldigten erwies.»
«Ein Tag, Medicus!»
Carolus verbeugte sich, schnappte sich das Buch und verließ den Abbé.
«Keiner darf hinein und keiner darf hinaus», sagten die Wachen am Tor von Sainte Douceline. Besorgt betrachtete Carolus die Scharten in der Tür und die Beschädigungen am Mauerwerk. «Aber ich darf ja wohl durch die Tür mit ihnen sprechen.»
«Ich weiß nicht, ob das erlaubt ist. Da müsst Ihr erst unseren Hauptmann fragen.»
«Ach was! Abbé Grégoire hat mich selbst damit beauftragt, Nachforschungen anzustellen. Also geht schon beiseite. Ich gehe auch nicht hinein.»
«Ja, wenn das so ist.» Sie rückten ein Stück beiseite und ließen Carolus gewähren. Er pochte ans Tor. Drinnen hörte man es rappeln. Dann fiel etwas um. Das Guckfenster ging von innen auf.
«Wer da?» Ein Auge war zu sehen. «Ach, du bist es, Carolus. Das ist ja eine schöne Bescherung, die man uns da eingebrockt hat, nicht wahr?» Es war unverkennbar die raue Stimme von Alix.
«Und wie geht es euch da drinnen?», fragte Carolus.
«Gut so weit. Es ist genug zu trinken da. Und zu essen haben wir auch. Aber sie haben sich überworfen!»
«Wer?»
«Na, alle. Wegen Danielle. Juliana und Gebba sprechen nicht mehr miteinander, und unser ganzes Haus ist in zwei Lager geteilt. Es ist schrecklich, Herr Carolus!», seufzte Alix.
«Das tut mir leid, und es ist auch dumm! Aber, Alix, jetzt sei so gut und hole mir Jeanne. Ich muss einen Augenblick mit ihr reden», bat der junge Arzt.
«Warte.» Das Fensterchen schloss sich. Wenig später öffnete es sich wieder, und Jeannes Stimme war dahinter zu hören.
«Carolus, dem Himmel sei Dank! Das Büchlein, das du mir gegeben hast …»
Er hielt es vor das Guckfenster, sodass sie es sehen konnte. «Schon gut. Erledigt. Ich habe es dem Abbé abgeschwatzt. Habe ihm gesagt, dass es mir gehört. Wie geht es Danielle?»
«Ach herrje, das weißt du natürlich auch noch nicht! Wir haben es bis jetzt geheim gehalten. Sie ist fort!»
Carolus fühlte, wie seine Knie nachgaben.
«Nein! Wann? Wie?»
«Gestern Abend hat sie noch ihren Bildteppich fertig gewebt und abgekettelt – ich wünschte, ich könnte ihn dir zeigen, es wird einem so vieles deutlich, wenn man ihn betrachtet! In der Nacht ist sie dann über die hintere Mauer geklettert und entwischt. Ich kann es ihr nicht verübeln, so wie die Dinge hier stehen. Dabei hat sie Laura gerettet oder mindestens das Kind. Es wäre ganz sicher nicht lebendig zur Welt gekommen, wenn Danielle nicht so beherzt gehandelt hätte. Sie ist eine fabelhafte Ärztin, weißt du das?»
«Ja, das ist mir inzwischen auch klar geworden. Was für ein verbohrter Dummkopf ich doch war! Da waren so viele Anzeichen, Andeutungen … Hat sie sich etwa erinnert, wer sie ist?»
«Ha! Erinnert! Alles hat sie uns erzählt, von Anfang an. Dass sie aus Neapel stammt und in Salerno Medizin studiert hat. Eine richtige Ärztin war sie, kannst du dir das vorstellen? Mit Lizenz und allem. Hat in Paris praktiziert, und da haben sie ihr eine Abtreibung angehängt, die sie gar nicht vorgenommen hatte. Haben sie geteert und gefedert und aus der Stadt getrieben. Als Bettlerin hat sie sich durchgeschlagen bis hier, bis Calixtus sie gefunden und zu uns gebracht hat!»
Er fühlte sich ein wenig vor den Kopf geschlagen. War er nicht ein vernünftiger
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