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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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und fortschrittlicher Mann? Warum nur hatte sie ihm nicht vertraut?
    «Aber warum hat sie uns das verheimlicht?», fragte Carolus, der seine Enttäuschung nicht verbergen konnte.
    «Hat sie gar nicht, oder nicht wirklich. So ganz habe ich das nicht verstanden. Na ja, jetzt ist sie wieder unterwegs, das arme Ding. Ich glaube, sie ist nicht aus Angst fortgelaufen, sondern weil sie nicht wollte, dass wir uns ihretwegen entzweien.»
    «Aber man wird es für ein Schuldbekenntnis halten.»
    «Ja. Das wird man. Aber ich war die ganze Zeit mit ihr im Zimmer. Ich kann auf die Bibel und zu allen Heiligen schwören, dass dem Kind nichts geschehen ist, solange wir da waren», sagte Jeanne fest.
    Carolus hörte kaum noch zu. «Ich muss sie suchen!», sagte er.
    «Danielle? Ja, und mit einem Pferd hast du gute Chancen, sie einzuholen. Sie ist zu Fuß und hat kein Geld. Aber vorher solltest du das Kind noch finden, wenn du kannst. Sonst wird es uns allen schlecht ergehen. Jemand aus der Nachbarschaft muss es genommen haben. Vielleicht jemand, der auf Marius neidisch war. Da gibt’s so einige!»
    Der Büttel machte Anstalten, Carolus wegzuschieben.«Wasflüstert ihr da miteinander? Genug! Nachher kriegen wir noch Schwierigkeiten.»
    «Einen Moment noch! – Jeanne? Hat sie gesagt, wohin sie will?», rief Carolus Jeanne hinterher, die sich bereits zum Gehen gewandt hatte.
    «Nein. Wir haben erst heute Morgen gemerkt, dass sie gegangen ist. Sie wird versuchen, sich an die Küste durchzuschlagen und dort ein Schiff nach Neapel zu besteigen. Sicher ist sie nach Marseille oder besser gleich nach Toulon. Mit welchen Mitteln sie die Überfahrt bezahlen will, das weiß der Himmel. Aber wenn ein Mensch ganz verlassen ist und alle seine Pläne und Ziele gescheitert sind, dann bleibt nur noch, dahin zurückzukehren, wo er herkommt, oder nicht?»
    Carolus verspürte eine große Niedergeschlagenheit. Wie hatte ihm das nur passieren können! Sein ganzes bisheriges Leben hatte er in dieser Stadt verbracht, er kannte sie wie sein eigenes Haus, ihren Geruch, die wohlangelegten Gassen, die gelblichen Mauern aus Feldstein, die Kirchen, Türme und Palais. Es war ihm immer befriedigend vorgekommen, hier zu leben. Er hatte seinen Weg klar vor sich gesehen. Und plötzlich war alles anders. Das Sonnenlicht erschien ihm trüb, der Himmel ohne Farbe, die Straßen eng, die Stadt hässlich.
    «Es ist alles nichts ohne sie», dachte er. «Warum habe ich das nicht schon früher erkannt?»
    Er hatte mit sämtlichen Nachbarn gesprochen und in jedem Haus ein Glas Wein trinken und Oliven essen müssen. Sein Kopf dröhnte. Er war müde und ratlos. Keine Menschenseele wollte etwas gesehen haben. Dafür hatte er sich oft genug anhören müssen: «Die arme Catherine! Warum wollt Ihr sie denn nicht? Was ist denn vorgefallen?»
    «Das ist nicht recht von Euch, junger Mann, die Verlobungso einfach zu lösen, nach so vielen Jahren!» Aber auch: «Recht hast du, mein Sohn. Soll sie doch flennen. Ein Mann sollte leben und sich nicht einfangen lassen. Du siehst, was es mir eingetragen hat: Rechnungen und einen Stall voll hungriger Kinder.»
    Ohne genau zu wissen, warum, hatten ihn seine Wanderungen wieder vor das Palais Vidal geführt. Er stand auf der anderen Straßenseite und starrte eine lange Zeit hinüber. Die Dunkelheit fiel herab wie ein Vorhang. Carolus taumelte vor Müdigkeit. Er wollte sich schon auf den Heimweg machen, da zupfte ihn etwas am Ärmel. Er blickte herunter. Das war der kleine Junge aus der Küche, nicht wahr? Wie hieß er doch gleich: «Claude?»
    «Psst!», machte der und wedelte mit der Hand: Ich bin nicht da. Du hast mich nicht gesehen. Er huschte voraus in einen Ziegenstall. Carolus folgte ihm. Wärme und die Geräusche vieler Tiere im Dunkeln empfingen ihn: Kauen und Mahlen, Niesen und Schnaufen, Blasen, Ohrenschütteln, Scharren und ein leises Klicken, wenn sich zwei Paar Hörner berührten. «Sie stinken nicht», fiel es Carolus auf. «Im Schafsstall stinkt es, im Kuhstall stinkt es, aber Ziegen riechen wie Pferde, sie verbreiten eine grasige Süße.»
    «Hast du mir etwas zu sagen?», flüsterte er.
    Der Junge zog geräuschvoll eine Ladung Rotz hoch und spuckte sie dann aus.
    «Verzei’ng, Herr Mimikus, die Mudder schickt mich. Ihr müsst aber versprech’n, sie nicht zu verraten. Sie hat mir hier ’n Kreuz gegem. Das sollt Ihr in der rechten Hand halt’n und schwör’n, dass Ihr uns nicht verrat’n tut.»
    Carolus tastete nach dem Kreuz,

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