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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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Liebe zu Gott? Hat er Arme, die dich umfangen können? Spricht er zu dir, wenn du einsam bist? Ist das nicht eine zu große Liebe, zu fern, fremd und unfassbar?
    ‹Schweig still, Verführer!›, befahl Danielle, und um nicht weiter nachzudenken, schritt sie kräftig aus.
    Die Landstraße nach Aix verließ sie schon bei Meyrargues und hielt sich lieber an die Hirtenpfade, mit Steinhügeln markiert und mit braunen Bohnen bestreut. Ein kleines weißes Büschel Wolle hing an einem Dornstrauch, ein Schaf war hier vorbeigekommen. Müßig rebbelte sie die Erdkrümelund Rindenstückchen heraus und verzwirbelte die Haare zu einem dünnen Faden. Sie hatte es nicht eilig. Als sie am ersten Abend auf eine kleine Grotte stieß, an einem namenlosen Bach, da machte sie sich ein Lager aus Zweigen und Gräsern und beschloss zu bleiben. Am zweiten Tage saß sie auf einem Hügel oberhalb der Landstraße und beobachtete das Treiben. Am Nachmittag sah sie einen einzelnen Reiter in großer Hast vom Fluss nach Aix zustreben. Er hielt nicht einmal an, um einem Bauern zu helfen, dessen Karren umgefallen war. Stattdessen gab er seinem Pferd die Fersen und trieb es mitten durch die heruntergefallenen Waren hindurch. ‹Ach, keiner hat Zeit für seinen Mitmenschen›, dachte Danielle milde. ‹Von all dieser Hetze und den nichtigen irdischen Zielen habe ich mich nun endgültig losgesagt.› Damit verließ sie den Hügel und vergrub sich tiefer in der Einsamkeit.
    Sie saß vor ihrer Grotte und dachte nach. Sie dachte an Laura, arme Laura. Doch da war nichts, was sie tun oder was sie ändern konnte. Sie dachte darüber nach, was sie mit ihrem Leben anfangen könnte. Aber es drängte sie zu nichts mehr. Die Zikaden lärmten. Von Ferne hörte sie die Glocken der Ziegenherden und die Rufe und Pfiffe der Schäfer. Aber sie suchte sie nicht auf. Noch reichte das Brot, das sie aus der Küche genommen hatte. Sie teilte es sich sorgfältig ein und kaute jeden Bissen sehr langsam und lange, streckte die Mahlzeiten mit wilden Pastinaken, die sie ausgrub, mit wildem Knoblauch, Brombeeren und Fenchelsamen. Sie trank direkt aus dem Bach. Auf den Knien schöpfte sie das klare, kühle Wasser mit den Händen. Es schmeckte besser als das aus dem Brunnen des Engels, frischer, süßer, so wie die Luft um sie her, eine unschuldige Luft, die nicht von Herdfeuern verschmutzt und von den Gerüchen und Lungen unzähliger Menschen und Tiere verbraucht war. Das Alleinsein tat ihrgut nach all dem Übermaß an Nähe, dem Streit und den Ansprüchen, die auf sie eingeprasselt waren.
    Als ihr Brot aufgegessen war, erforschte sie ihre Umgebung. Nach einer Weile des Umherstreifens stieß sie auf ein kleines Gehöft und Felder, in denen eine Frau Zwiebeln zog. Ihr Mann drosch Korn auf einem flachen Stück Erde hinter dem Haus. Dort hatte er das wenige, das sie geerntet hatten, auf dem harten Boden ausgestreut und ließ einen angepflockten Esel darüberlaufen, immer im Kreis.
    Die Frau hatte sie wahrgenommen und schaute von ihrer Arbeit hoch. Ihre Hände waren aschfarben von der Erde. Ihr Kleid war aschgrau, die Füße waren nackt und aschgrau bis auf den dunkleren Schlamm zwischen ihren Zehen. Ihr Gesicht mochte von der Sonne gebräunt sein, wirkte aber ebenso grau wie der Rest von ihr. So hager war sie, zäh und knollig wie ein alter Weinstock. Sie stand auf und wischte sich die Hände am Rock, stand da und sah Danielle bloß an.
    «Grüß dich», sagte Danielle. Ihre Stimme klang ein wenig eingerostet.
    Die Frau nickte mit unbewegtem Gesicht, ging fort und holte ihren Mann, der ihr in allem glich, nur dass er einen Kopf größer war als sie, einen Wust schwarzer Haare auf dem Kopf hatte. Sein Oberkörper war entblößt, knotig von Muskeln und glänzend von Schweiß. Als sie zu sprechen begannen, war es in einer Mundart so schwer wie dicke Mayonnaise. Danielle verstand nur jedes dritte Wort.
    «Que es aco?», fragte er seine Frau. (Was ist das?)
    «Um Papelarda», antwortete sie. (Eine Begine.)
    «Bonjour! Guten Tag», sagt Danielle.
    «Bonjorn Madamo», antworteten beide.
    Dann standen sie wieder schweigend da und warteten.
    «Ich bin hungrig. Könnt ihr vielleicht ein Stück Brot erübrigen, ihr guten Leute?»
    Sie hatten sie nicht verstanden. Danielle machte das universale Zeichen der Hand, die etwas zum Munde führt.
    «Tè!»
Die Frau lächelte zahnlos.
«Vouei.»
Sie winkte Danielle, ihr zu folgen, und ging zum Haus. Ihr Ehemann sah zum Himmel, schätzte rasch den

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