Die Ketzerbibel
Carcassonne?»
«Wir haben Prous überredet, damit noch zu warten, bis sich die Dinge dort beruhigt haben. Inzwischen nutzen wir die Zeit, um hier den Menschen zu predigen. Mir scheint,hier ist man viel zu schafsfromm und diesem sogenannten Papst hörig. Und du, warst du nicht in dem Haus in Pertuis? Warum bist du von dort weggegangen?»
Danielle gab ihnen eine kurze Version ihrer Geschichte.
«Ich wollte nicht, dass sie sich um meinetwillen zerstreiten. Da bin ich gegangen.»
«Das war recht von dir», lobte Maria. «Es ist ohnehin kein Ort von großer Frömmigkeit. Die Schwestern von Pertuis sind zu sehr dem Reichtum und den Geschäften ergeben.»
«Wo willst du hin?», fragte Prous.
Danielle wies gen Südosten. «Ich will nach Neapel zurück. Vielleicht leben meine Eltern noch, gewiss aber meine Brüder. Aber ich habe mich noch nicht entschieden, auf welchem Weg ich es versuchen will.»
«Dann haben wir zumindest ein Stück weit denselben Weg. Wir wollen zum Grab der heiligen Magdalena in Saint-Maximin-la-Sainte-Baume. Komm doch mit uns. Allein bist du zu vielen Gefahren ausgesetzt. Und von dort kommst du leicht nach Toulon, wo du sehr gute Aussichten hast, ein Schiff zu bekommen.»
«Aber ich habe kein Geld für die Überfahrt», gab Danielle zu bedenken.
«Das macht nichts. Wenn Gott will, dann wird sich schon etwas finden. Gott versorgt die, die auf ihn vertrauen», sagte Prous.
Danielle willigte ein. Sie freute sich darauf, das Grab der Heiligen zu sehen. Vielleicht würde ihr dort einiges klarer werden. Aber die Beginen schlugen nicht den direkten Weg die Hauptstraße entlang ein, sondern sie machten sich daran, bergab zu gehen in südlicher Richtung.
«Wo wollt ihr denn hin? Geht es nicht dort entlang nach Saint-Maximin?», fragte Danielle.
«Ja, aber wir wollen unterwegs die kleinen Dörfer besuchen,damit Prous ihnen vom Dritten Zeitalter erzählen kann, das sie gesehen hat», erklärte Maria.
«Ah, es ist wohl besser, das in größeren Orten zu unterlassen.» Danielle glaubte zu verstehen.
«Nein, es ist nicht Feigheit oder Angst, die uns von den Städten fernhält», berichtigte Barbara. «Es ist nur so, dass die kleinen Leute uns mehr benötigen. Sie wissen ja nicht einmal, was in der Bibel steht, weil sie nicht lesen können. Und der Klerus, wenn er sich denn einmal zu ihnen herablässt, dann nur, um sich zu bereichern und sie zu berauben und ihnen zu erzählen, dass sie ihre Belohnung im Jenseits haben werden.»
«Es ist allerdings wahr», fügte Maria hinzu, «dass wir in den kleinen Dörfern und auf den abgelegenen Höfen sicherer sind. Wir werden besser aufgenommen, und die Leute haben wenig Grund, die Pfaffen zu lieben. Sie hören unsere Botschaft gern und verraten uns nicht.»
‹Vielleicht sollte ich doch lieber nicht mit ihnen gehen.› sagte sich Danielle. Sie schienen ihr fanatisch zu sein. Aber sie war neugierig und wollte mehr über sie und ihre Vorstellungen wissen.
«Ich bin in religiösen Dingen weitaus weniger bewandert als ihr, aber ich will gern mit euch ziehen und euch zuhören. Und ich möchte auf den Dörfern Kranke behandeln, die mich nötig haben», sagte sie schließlich.
«Gegen Geld?», fragte Maria.
«Nein, ich habe mir vorgenommen, Gutes zu tun», erwiderte Danielle.
«Dann bist du uns herzlich willkommen», sagte Maria.
Abgesehen von ihren strengen Ansichten, erwiesen sich die drei als angenehme Weggefährtinnen. Prous Boneta war eine sehr junge Frau, vielleicht fünfzehn Jahre alt. Als Tochter eines Kaufmanns aus Montpellier hatte sie lesenund schreiben gelernt und sich frühzeitig für ein religiöses Leben entschieden. «Mein Vater ist früh gestorben und hat mich und meine Schwestern fast mittellos zurückgelassen. Oder jedenfalls haben seine Gläubiger das behauptet. An einen Platz in einem Kloster war für mich nicht zu denken.» Sie war sehr ernsthaft, aber freundlich dabei. In jedem Dorf rannten die Kinder immer gleich zu ihr. Sie zogen sie mit sich und vertrauten ihr ihre kleinen Geheimnisse an.
Barbara war praktisch veranlagt. Sie musste an die dreißig Jahre alt sein, war breit und kräftig und organisierte für die anderen beiden Essen und Unterkünfte. Sie verstand es auch, ein einfaches Lager im Wald bequem zu machen und mit wenigen Zutaten schmackhafte Mahlzeiten zuzubereiten. «Gott versorgt uns. Seht ihr: Ich habe einen Hasen in einer Schlinge gefunden und wilde Rüben. Dazu ein wenig Thymian und Salbei! Heute gibt es ein Festmahl,
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