Die Ketzerbibel
gegen Gebühr. Also aßen die Leute kein Brot, sondern nur Kornsuppen. Nein, das Kloster war wahrhaftig nicht beliebt.
Und der andere dort? Ein junger Stutzer offenbar. Was hatte er nur für lächerliche Kleider an: Diese übertriebenen Schnabelschuhe und Ärmel wie Trichter! Er ritt zwar auf einem Maultier, aber er war keiner von ihnen. Ein Geck aus der Stadt, das erkannten sie auf einen Blick.
‹Sicher wollen sie unseren Beginen was Böses. Sie sind Spione des Papstes›, dachten sie. «Nein», sagten sie laut. «Wir haben keine einzelne Begine gesehen.» Streng genommen stimmte das. Gute Christen lügen nicht.
«Ich habe das Gefühl, sie beschwindeln uns», sagte Calixtus. «Diese Schlingel! Ja, ich bin mir ganz sicher, dass sie hier durchgekommen ist. Ich habe einen alten Mann mit einem frischen Verband am Bein gesehen. Du nicht?»
«Doch, jetzt, da du es erwähnst, ja. Es ist mir nicht weiter aufgefallen. Ärztliche Gewohnheit, weißt du: Ich habe gesehen, dass der Verband gut gemacht war und die Sache als erledigt betrachtet. Glaubst du, das war sie?» Sein Herz setzte einen Schlag aus. «Dann kann sie nicht weit vor uns sein!»
Methusalem hatte die Unaufmerksamkeit seines Herrn genutzt und tat sich in einem Gemüsegarten gütlich. Eine Frau kam aus dem Haus gelaufen und traktierte ihn mit Stockhieben.
«Verzeiht bitte!» Carolus zog sein Barett und zerrte mit der anderen Hand Methusalem aus den Rüben.
«Macht bloß, dass ihr wegkommt mit dieser Wurst auf vier Beinen!», schrie die Frau.
«Komm, mein
mulet
, hü!», machte Carolus und setzte sich obenauf.
Methusalem hing noch das Grün aus dem Maul. Er wollte lieber in Ruhe verdauen. Also ließ er die Beine etwas einknicken, die Ohren hängen und grunzte erbärmlich.
Carolus stieg wieder ab: «Ich laufe lieber und führe ihnam Halfter. So kommen wir schneller voran.» Er legte einen guten Schritt vor. Ohne die gewohnte Last trottete Methusalem geradezu leichtfüßig hinter ihm her. Sie folgten der Landstraße, so schnell sie es vermochten, und hielten sich nirgends länger auf.
Und so kam es, dass sie zwei Tage vor den Beginen in Saint-Maximin waren.
Eine gewaltige Basilika wuchs zwischen den Häusern des Städtchens empor. Sie ließ alle Gebäude weit umher zwergenhaft erscheinen. Schon von weitem konnten die Reisenden sie sehen. Vor fünfzehn Jahren hatten die Könige von Neapel, Grafen der Provence, den Neubau in Auftrag gegeben, und immer noch wurde daran gearbeitet. Sie war bis obenhin eingerüstet. Steinmetze kletterten wie Ameisen auf den Stangen und Brettern umher. Calixtus war von dem Riesenbau fasziniert. Er lief, den Kopf in den Nacken gelegt, um die Baustelle herum, sprach die Zimmerleute an, ließ sich herumführen und alles genau zeigen. Fast zärtlich strichen seine langen Finger über die prachtvollen neuen Bänke und über das Schnitzwerk der Kanzel.
«Nussbaum! Das ist das beste Holz für so etwas. Sieh nur die schöne Maserung und den rötlichen Schimmer!», schwärmte er.
Von der alten merowingischen Kirche war nur noch die Krypta geblieben. Vier Steinsärge standen darin, von Baustaub und Schutt überkrustet. Die Wände rochen modrig, feucht. Ein trostloser Ort.
«Nein. Es tut uns leid, Euch keine bessere Auskunft geben zu können», sagte ein Dominikanermönch. «Es waren eine Menge Leute hier, aber keine Begine. Ganz sicher nicht. Das wäre aufgefallen, und jeder hier hätte davon gehört. Vielleicht ist sie aber nicht hierher in die Basilika gekommen, sondern zur Grotte gegangen, wo Maria Magdalena ihreletzten Jahre verbracht haben soll. Hier ist es schwer, Ruhe und Andacht zu finden wegen des Staubs und des Krachs.» Er wies mit gequältem Gesichtsausdruck auf die Gerüste und die wimmelnden Arbeiter. «Das Reliquiar der Heiligen haben wir ohnehin ins Kloster gebracht für die Dauer der Bauzeit. Fragt lieber bei der Grotte nach. Die meisten Wallfahrer gehen jetzt dorthin.»
Carolus war verunsichert. Er hatte es sich so einfach vorgestellt, als er in Pertuis losgezogen war. Aber nun tat sich vor ihm eine weite Welt auf. Die Wege verzweigten sich, und es gab so viele Möglichkeiten. «Es ist ein großer Umweg zur
Santa Bauma
. Glaubst du nicht, dass sie lieber auf direktem Weg nach Toulon gehen wird?»
«Ohne die Höhle gesehen zu haben? Das kann ich mir nicht vorstellen. Denk nur: Sie hat zum zweiten Mal ihren Halt verloren. Wo könnte eine Frau besser Inspiration finden als in dieser Grotte?», gab Calixtus zu
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