Die Ketzerbibel
Schwestern.»
«Was hast du mit der Schlinge getan?», fragte Prous vorsichtig.
«Ich habe sie vergraben, wo sie keinen Schaden mehr anrichten kann. Doch da der arme Hase nun mal tot ist, können wir uns seiner doch erfreuen. Verschwendung ist Sünde», lachte Barbara.
Maria war die Predigerin in der Gruppe. «Ihr seid dem Paradies näher als die Vertreter einer Kirche des Fleisches!», rief sie auf den Dreschplätzen, an den Brunnen und vor den Dorfkapellen. «Jesus Christus hat nichts besessen und seine Apostel auch nicht. Sie waren ganz und gar arm in dieser Welt. So steht es im Evangelium geschrieben. Und nun schauen wir uns einmal die Kirche an oder die, die sich für Christi Nachfolger ausgeben! Sind sie zufrieden, von euch das zu nehmen, was sie heute essen und sich in das zu kleiden, was notwendig ist, um sich vor der Witterung zu schützen und sich anständig zu bedecken? Nein! Hat einer von euch jeeinen Bischof gesehen oder einen Erzbischof oder den, der sich Papst nennt?» Sie schüttelten die Köpfe und hörten ihr andächtig zu, wenn sie die Gewänder der Prälaten beschrieb, die von Goldfäden schwer waren und von Edelsteinen und aufgesetzten Perlen nur so strotzten; wenn sie die Paläste und Gärten beschrieb und die Tafeln, an die sie sich setzten. Für die Bauern klangen ihre Worte wie Märchen. Man hätte ihnen genauso gut von Königen und Prinzen erzählen können und von Riesen und Drachen. Aber dann sagte Maria ihnen: «Und diese stellen sich hin und wollen den minderen Brüdern die Armut verbieten und wollen ihnen vorschreiben, dass sie Vorräte anlegen und gegen das Gebot der Armut verstoßen sollen! Und deshalb sage ich euch: Dieser Papst ist selbst zum Ketzer geworden, und es ist nicht nötig, ihm zu gehorchen. Er hat seine Macht verloren. Rom ist Babylon geworden, und Avignon ist Babylon geworden! Hier seht ihr meine Schwester Prous Boneta. Ihr ist geweissagt, dass sie den Heiligen Geist gebären wird. Und dann hebt das Zeitalter des Geistes an. Die Fleischeskirche wird zerstört werden und alle, die arm sind, werden triumphieren!»
Das hörten die Bauern gern, obwohl sie sicher noch lieber reich gewesen wären. Danielle erkannte in Marias Predigten verstümmelte Teile der Lehren von Petrus Johannis Olivi, einem Franziskanermönch, der zwar aufsässig gewesen war, es aber doch immer wieder fertiggebracht hatte, sich mit seinen Vorgesetzten zu versöhnen, sodass seine Texte erst nach seinem Tod für häretisch erklärt worden waren.
Sie gab es bald auf, mit Maria diskutieren zu wollen. Prous’ einfacher Glaube daran, dass Frauen eine wichtige Rolle bei der Errettung der Welt spielten, gefiel ihr weitaus besser. Sie hielt es durchaus für möglich, dass Prous etwas Besonderes war. Ein Strahlen umgab sie und eine große Unschuld. Und wer auch immer ein Zeitalter des Geistes und der Vernunftherbeiführen sollte, ob Mann oder Frau, sie hätte es gern gesehen. Aber sie glaubte nicht recht daran.
So zogen sie im Zickzack über die Dörfer. Wo immer jemand krank war, behandelte Danielle ihn unentgeltlich. Sie schnitt einen Dorn aus einem Fuß, sie kurierte eine junge Frau von übermäßig starkem und schmerzhaftem Monatsfluss, sie beriet Schwangere und tauschte sich mit den örtlichen Hebammen aus, sie heilte einen Säugling vom Fieber, und sie war zur Stelle, als ein Schäfer von einer Viper gebissen wurde. Ohne es zu beabsichtigen, unterstützte sie damit Maria.
«Diese Beginen sind gesegnet», sagten die Leute. «Sie erzählen uns nicht nur vom Jenseits, sondern sie tun uns hier etwas Gutes. Und diese da, die hat heilende Hände.»
In Trets kreuzten sie den Weg von Carolus und Calixtus, ohne es zu wissen.
Die beiden Reisenden trafen dort ein, wenige Stunden nachdem die Beginen weitergezogen waren.
«Habt ihr eine Begine gesehen, so eine große, dunkle, mit Narben an Kopf und Hals? Sie ist auch eine Heilerin. Vielleicht hat sie jemandem unter euch ihre Dienste angeboten?», fragten sie.
Die Leute betrachteten die fremden Männer argwöhnisch. Die Beginen waren so arm und schlicht gewesen, aber dieser da, das war ein Vertreter der Fleischeskirche. Nun ja, ein Franziskaner, aber sie wussten nicht viel von denen. Und das Kloster, dem sie ihre Abgaben zahlten, war nicht eben beliebt. Es hatte sogar den Leuten bei Strafe verbieten lassen, ihr eigenes Korn bei sich zu Hause in Handmühlen oder mit Hilfe von Steinen zu mahlen. Man hatte die Klostermühle zu benutzen – selbstverständlich
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