Die Ketzerbibel
diesen Lumpenpredigerinnen aufgegriffen.»
«Geht das jetzt hier auch schon los?», fragte einer von den anderen Pilgern. «Schlimm genug, dass das Languedoc immer noch voller Ketzer steckt. Aber bislang hatten wir auf dieser Seite der Rhône ja einigermaßen Ruhe vor ihnen.»
Carolus blieb der Bissen im Halse stecken. «Was meint Ihr mit ‹Lumpenpredigerinnen›?», fragte er nach.
«Wandernde Beginen, die das einfache Volk gegen die Obrigkeit aufhetzen. Drüben bei Roquebrussane haben sie welche von denen erwischt.» Zufrieden säbelte sich der junge Mann mit seinem juwelenbesetzten Messerchen einen großen Happen von der Pastete ab.
«Habt Ihr das selbst gesehen?», fragte Calixtus.
«Nein, aber ein Jäger hat es uns erzählt. Vier von denen sollen es gewesen sein. Sie werden nach Toulon gebracht und dort verbrannt.»
«Vielleicht reisen wir anschließend dorthin und schauen es uns an», sagte seine Mutter.
Carolus wollte auffahren, aber Calixtus legte ihm die Hand auf den Arm und brachte ihn dazu, ruhig sitzen zu bleiben, bis das Mahl beendet und das Dankgebet gesprochen war. Dann zog er ihn hinaus in den dunklen Vorhof.
«Wir müssen sofort los!», rief Carolus.
«Das hat doch keinen Zweck, mitten in der Nacht. Und du weißt nicht einmal, ob sie dabei war. Aber auch ich finde die Nachricht beunruhigend», erwiderte Calixtus.
Carolus rang die Hände und starrte verzweifelt in die Finsternis. «Hätte ich doch nicht auf dich gehört und wäre gleich nach Toulon gegangen!»
«Wenn sie wirklich unter den Festgenommenen ist, dann bleibt uns noch genug Zeit. Wir können für sie bürgen. Sieist ja keine von den Bettelbeginen, und gepredigt hat sie ganz sicher nicht. Ich habe auch etwas, das uns helfen kann. Erzbischof Noves hatte die Güte, mir einen Schutzbrief für die Beginen von Pertuis auszustellen!»
Carolus umarmte ihn. «Dann wird noch alles gut! Wenn wir nur rechtzeitig kommen!» In der Dämmerung, kaum dass vom Kloster her die Laudes ertönten, brachen die beiden Männer auf. Den Maultieren gefiel es gar nicht, nach drei faulen Tagen im Schatten auf der grünen Wiese plötzlich so angetrieben zu werden. Grunzend verfiel Methusalem in einen Zockelschritt, der dem Medicus die Zähne durchschüttelte.
«O du Unglückstier!», rief er. «Warum musste ich mir auch das gute Pferd stehlen lassen? In diesem Tempo kommen wir nie zur rechten Zeit nach Toulon!»
23.
Danielle begann zu zweifeln. «Wäre es nicht besser, zu arbeiten und unser Brot selbst zu verdienen?», fragte sie Barbara. Sie hatten die Nacht bei einem Kleinbauern verbracht, ganz ähnlich denen, die sie bei ihrem Aufbruch getroffen hatte. Die ganze Familie, drei Erwachsene und fünf Kinder, lebten in einem einzigen Raum, der an den Schafsstall angrenzte. Zu essen gab es Fladen, die aus gemahlenen Kastanien gebacken waren, und selbst davon nicht reichlich. Vier Mäuler mehr mussten den Vorrat arg dezimiert haben, dachte sie. «Wir könnten wenigstens bleiben und ihnen helfen, das Korn auszudreschen. Es kann doch nicht richtig sein, den Ärmsten ihre Vorräte wegzufressen. Dann sind wir nicht besser als die Klosterbrüder, die von der Arbeit ihrer Leibeigenen zehren.»
«Das ist nicht richtig, was du sagst. Die Klosterleute haben mehr, als sie zum Leben brauchen. Wir aber haben gar nichts. Wir sind die Armen, von denen Jesus gesagt hat: ‹Was du diesen getan hast, das hast du mir getan.› Wir geben ihnen die Gelegenheit, ein gutes Werk zu tun», entgegnete Barbara.
«Aber sollten wir nicht lieber den anderen Menschen nützlich sein?», wandte Danielle ein.
«Was könnte nützlicher sein, als ihre Seelen zu erquicken? Wir erzählen ihnen vom rechten Glauben und vom Reich der Geisteskirche, die kommen wird. Das ist unsere Aufgabe.»
«Wenn ich wenigstens als Ärztin gebraucht wordenwäre …» Danielle fühlte sich wohler, wenn sie etwas tun konnte für ihre Mahlzeit, etwas ausrichten, etwas zum Guten verändern, nicht nur reden.
«Du bildest dir zu viel ein auf dein Heilertum», sagte Maria zornig. «Aber das ist gar nicht wichtig. Du bist wie der König Asa, von dem die Bibel berichtet, der den Ärzten mehr traute als dem Herrn und der doch starb, trotz ihrer Künste, und seine Seele war verflucht. Es ist wichtiger, die Seele zu retten als den Körper!»
‹Das sagen die Inquisitoren auch›, dachte Danielle bei sich. ‹Und jeder meint, er habe recht. Was richtig ist, das werden wir alle miteinander erst nach dem Tod
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