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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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hin, die Erbin der Urmutter Eva, das Sinnbild von tierhaften Gelüsten, von Schmutz und Verderbnis, von Unstetigkeit und Schwäche und behauptet – behauptet!, liebe Gemeinde, dass man nur der Natur freien Lauf lassen müsse, um gottgleich zu werden! – Ich hoffe doch sehr, dass ihr abschreckendes Beispiel einigen unter uns eine Lehre sein wird. Ich hoffe doch sehr, dass hier bei uns, so nahe am Sitz des Heiligen Vaters, Demut und Anstand herrschen. Gehorsam und Demut sind die Tugenden, die dem Weibe wohl anstehen!»
    Es war die übliche Litanei von der Verantwortung gefolgt, die der Ehemann für seine Frau habe, und dass es nachgerade seine Pflicht sei, sie regelmäßig zu prügeln. Darin waren die Männer des Südens ohnehin nicht nachlässig.
    Danielle riss sich mit einem Ruck aus ihrem Tagtraum und hörte, wie Anne fortfuhr:
    «Dabei bin ich sicher, dass er das, worüber er redet, niemals selbst gelesen hat. Meistens erregen sich die Leute lieber über Gerüchte, statt sich selbst ein Urteil zu bilden.» Sie legte ihre Hand ehrfürchtig auf das kleine Buch, das aufgeschlagen auf dem Pult lag. «Dieses ist eine Originalhandschrift von Marguerite Poretes ‹Spiegel der einfachen Seele›. Eine Kostbarkeit, die gerade überall im Land auf Scheiterhaufen zu Asche brennt. Doch die Wahrheit findet immer einen Weg.»
    Annes dunkle Augen glühten in ihrem schmalen Gesicht.
    «Aber was meint sie denn nun genau mit den Tugenden – und wieso sollen wir der Natur freien Lauf lassen?», fragte Danielle verwirrt.
    «Sie geht davon aus, dass es möglich ist, einen Zustand zu erreichen, in dem die Seele ganz frei ist von menschlichem Eigennutz, ganz auf Gott bezogen, so sehr auf Gott bezogen, dass sie zum Beispiel nicht nur Gutes tut, um seiner Vergebung oder irgendwelcher Vorteile willen – sondern weil sie selbst nur noch Liebe und Güte ist und also nicht anders kann. Stell dir vor: Sie könnte alles tun, was ihre Natur ihr aufgibt, weil diese Natur gut ist. Sie könnte sogar Zärtlichkeit geben und empfangen, küssen – all das! Diesen Zustand nennt sie ‹die freie Seele›, aber diejenigen, die sie verurteilt haben, nennen es Sünde, Häresie und einen Skandal. Doch was die Herren übersehen, ist die Tatsache, dass man, um diesen Zustand überhaupt zu erreichen, noch viel mehr Disziplin üben muss, als sie es sich vorstellen können, denn man muss zuerst ganz und gar tugendhaft sein und alles aufgeben, nach nichts streben in der Welt! Erst wenn man sich von jeglichen Wünschen und eigenem Willen frei gemacht hat, ist die Seele wirklich frei, sodass sie keinerlei Vorschriften mehr bedarf.»
    Danielle sah auf das merkwürdige kleine Buch hinunter. «Davon bin ich weit, weit entfernt», flüsterte sie.
    Anne war hinter sie getreten und legte ihr fast zärtlich eine Hand auf die Schulter: «Ich auch! Und siehst du, eine, die so hohe Maßstäbe hat, die haben sie als Ketzerin verurteilt. Es erinnert mich an die Geschichte von Jesus   …»
    «Ich werde mir sehr viel Mühe geben, diesem Buch die Ehre anzutun, die es verdient», sagte Danielle nachdenklich. «Aber es nimmt mich nicht Wunder, dass man es verboten hat.»
    «Sicher. Dabei ist es so klug. Schwierig zu verstehen, oh, das sage ich dir! Einundzwanzig Professoren der Theologie waren vonnöten, um ihren Text bis zur Unkenntlichkeit zu zerpflücken und die Porete endlich als Ketzerin abzustempeln. Und weißt du auch, was diese Herren am meisten irritiert hat?»
    «Ich kann’s mir schon denken: Dass ein Laie, schlimmer noch: eine Frau sich über die Vermittlung der Kirche hinwegsetzt.»
    «Ja, denn eine freie Seele, die mit Gott ganz und gar verbunden ist, die braucht ja keine Riten und keine Kirche mehr.»
    «Gefährlich! Sie war eine Rebellin, deine Porete. Hat sich denn eigentlich der Papst dazu geäußert?»
    «Nicht dass ich wüsste, nicht offiziell. So etwas überlässt er seinen Bluthunden. Zwölf der einundzwanzig Professoren in dem Pariser Prozess gegen die Porete waren übrigens dieselben, mit deren Hilfe Papst Clemens auch schon den Templerorden abgeurteilt hat. Sagt dir das etwas über seine Einstellung zu selbstgenügsamen Gemeinschaften?»
    «Still jetzt! Genug!» Juliana stand in der Tür und hatte den letzten Teil von Annes leidenschaftlicher Rede gehört. «Die Beginen sind nichts weiter als einfache, fromme Frauen, die in Frieden zusammenleben wollen. Marguerite Porete war zu stolz, auch wenn sie drei Mal recht hatte. Ich habe dir erlaubt, das Buch

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