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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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Aufmerksamkeit schenken und sonst an gar nichts denken! Unaufmerksamkeit hat das Schiff versenkt, hat meine Mutter selig immer gesagt. Die schönen Rüben!»
    «Ich gehe sie waschen», sagte Danielle, las die Rüben wieder in die Schüssel und ging damit zum Brunnen.
    Carolus betrachtete ihren Rücken und kam sich überflüssig vor. Er ärgerte sich. So kurz war er davor gewesen, da war er sich ganz sicher. Noch nie hatte sie ihre Vorsicht und Zurückhaltung so weit vergessen. Sie hatte geweint! Er hatte sie zum Lachen gebracht. Und – oh – was für ein Lachen das war! Wie schön sie war, wie warm, wie lebendig! Einen winzigenAugenblick lang hatte sie ihn durch einen Spalt blicken lassen, auf eine andere Danielle, eine, die leben und lieben konnte, auf die Frau, die er bei sich haben wollte, ja, bis ans Ende seiner Tage. Nur ein Traum. Hatte sie ihn überhaupt wahrgenommen? Jetzt schien er nicht mehr zu existieren für sie. Still drehte er sich um und ging.
    «Worüber habt ihr denn heute geredet?», fragte Magdalène ganz harmlos am Abend beim Zu-Bett-Gehen.
    «Über Honig. Über einen alten Mann. Über Paris», murmelte Danielle, wenig mitteilsam, selbst ein wenig erschrocken darüber, dass sie heute Nachmittag all ihre Vorsätze vergesen hatte – für eine kurze Weile.
    «Über Paris?»
    «Ja. Er hat dort studiert.»
    «Ah! Er soll ja ein guter Arzt sein. Und er sieht so blendend aus, findest du nicht?»
    «Ich bin nicht interessiert an Männern. Es ist mir ganz gleich, wie er aussieht. Wie oft muss ich es dir noch sagen?», wies Danielle sie ab.
    «Man könnte den Eindruck bekommen, Magdalène, du wolltest Danielle mit diesem Mann verkuppeln», bemerkte Garsende spitz. «Und das hier, wo wir doch alle keusch leben wollen! Das gehört sich nicht!»
    «Ich? Ich mache gar nichts. Ich frage doch nur.»
    «Oh, hört schon auf zu schwatzen! Wir wollen einschlafen», murrten die anderen.
    «Ich nicht! Ich will wissen, ob da etwas ist zwischen Schwester Danielle und Carolus!», kicherte eine.
    «Gar nichts ist da!»
    «Psst! Schlaf endlich!»

10.
    «Ein schönes Plätzchen habt Ihr Euch ausgesucht!»
    Die beiden alten Männer lustwandelten im Schatten alter Bäume. Es war angenehm frisch hier oben auf dem Felsen, der sich über der Biegung der Rhône erhob. Vom Fluss klangen die Stimmen der Schiffer herauf. Es war viel Verkehr auf dem Wasser: kleine Fischernachen, ein Floß, das Schlachtvieh von einem Ufer zum anderen beförderte, eine flinke
fusta
, auf deren Vordeck Jugendliche aus reichem Haus sich amüsierten, eine bauchige Nau, die stromabwärts segelte, und schwerfällige
carraches
, von Treidlern gezogen, die ihre Fracht nach Lyon hinaufbrachten.
    Gärtner und Laienbrüder aus den Klöstern ganz Frankreichs waren im Begriff, den verwilderten Garten des ehemaligen Bischofspalastes umzugestalten. Die Anhöhe wimmelte von Arbeitern. Ein ununterbrochener Strom von Mauleseln mit ihren Treibern brachte frische, dunkle Erde in geflochtenen Körben herauf und beförderte den Abfall hinunter: ausgerissene Büsche, Astwerk, Steine, gejätete Unkräuter und Unrat. Rasenflächen, Beete mit Iris, Lilien und Päonien wurden angelegt, Hundsrosen und Efeu sorgfältig über Felsen gezogen, sodass es aussah, als wären sie immer schon hier gewesen.
    «Was ist das?» Der Erzbischof zeigte auf ein Gewächs mit armlangen, dunkelgrünen, anmutig gezackten Blättern. Ein Bruder im weiß-schwarzen Habit eines Zisterziensers verneigte sich vor den beiden hohen Herren.
    «Acanthus mollis, Euer Eminenz.»
    «Ich wusste doch, dass ich die Blattform erkenne. Sie ziert viele Säulen und Friese in unseren Klöstern. Doch ist sie, glaube ich, bei uns nicht heimisch?»
    «Sie stammt aus Griechenland, Eminenz. Dort ist sie seit der Antike ein traditioneller Schmuck. Der Bildhauer Kallimachos soll sie zuerst für seine Kapitelle verwendet haben. Römer und Byzantiner haben die Form in ihren Ornamenten übernommen, mit welcher Bedeutung, dieses Wissen ist uns leider verloren gegangen. Doch ähnelt die Blattform der Palme, welche   …»
    «Ich danke Euch, Bruder, für die erschöpfende Auskunft.»
    Seine Heiligkeit, Clemens   V., fasste den Erzbischof am Arm und zog ihn weiter. «Wenn man Bruder Michael auf Pflanzen anspricht, findet er kein Ende!»
    Sie passierten eine Gruppe von Männern, die mit Hilfe von Seilen einen überlebensgroßen Marmorengel aufrichteten. Er würde auf die Rhône hinunterblicken. Vom Bischofspalast her klangen Rufe,

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