Die Ketzerbibel
zurückzukehren!
Denn wenn sie es nicht tun, dann wird es ihnen gehen, wie unser Herr Jesus gesagt hat: ‹Es wäre besser, dass du als Krüppel durchs Leben gehst, als dass du zwei Hände habest und fahrest in die Hölle, wo der Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht verlöscht.› Denkt an den Platz vor der Stadt, wo wir die Kadaver toter Tiere und allen Unrat verbrennen, wie es raucht und wie es stinkt und wie die Raubvögel am verwesenden Fleisch picken und die Füchse sich anknurren über dem eklen Fleisch! Und denkt euch dies alles noch in höllischer Finsternis. Und denkt, dass das Fleisch derjenigen, die dieser Hölle überantwortet werden, niemals stirbt, während die Würmer sie von innen fressen und die Teufel sie plagen und das Feuer sie brennt!», Abbé Grégoires Augen leuchteten und flackerten, als schaue er direkt in dieses Höllenfeuer hinein. Er beugte sich über die Kanzel, und sein Finger wies auf Einzelne in der Gemeinde, die erschraken und sich tief in die Bänke drückten. «Und wenn ihr schon meint, dass dies alles wäre, dann irrt ihr euch, denn wer Gott verlässt, den wird er auch verlassen. Und er wird da ganz einsamsein, weit von Gott und jeder Hilfe, voller Angst, Bitterkeit, Scham, nutzloser Reue, tiefster Verzweiflung und Zorn!» Er richtete sich wieder auf und schwieg eine Weile, um seine Worte wirken zu lassen, und begann dann erneut: «Und wer hier denkt, es beträfe ihn nicht, dem sage ich: Alle, die jenen helfen, sie verstecken, für sie lügen oder auch nur schweigen und sie damit schützen, sind gleichfalls verdammt! Es ist ein Akt der Nächstenliebe, Ketzer und Abtrünnige anzuzeigen, denn es ist besser, dass ihr Körper hier auf Erden gezüchtigt wird, als dass ihre Seele ewig leidet! Oh, ihr Sünder, seid gewarnt:
tempus gratiae
, die Zeit der Gnade, beträgt sieben Tage!»
Lange Zeit war es ganz still in der Kirche. Keiner wagte es, sich zu rühren oder seinen Nachbarn anzuschauen. Die Luft schien so dick zu sein wie Brei. Danielle glaubte, ihr eigenes Herz schlagen zu hören.
Auf dem Heimweg drängten sich die Beginen aneinander und flüsterten. Gebba war kalkweiß und hatte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Von der Kirche bis zum Tor sagte sie kein einziges Wort. Doch kaum hatte die Gruppe ihren eigenen Hof betreten, wandte sie sich mit dem Ausdruck äußerster Wut gegen Danielle.
«Das haben wir alles dir zu verdanken! Ach, wärest du doch …», sie hielt inne und jeder wusste, was sie eigentlich hätte sagen wollen, «… wärest du doch weitergezogen! Warum musstest du ausgerechnet hierherkommen – und warum bist du geblieben? Du mit deiner Leisetreterei und deinen schmutzigen Geheimnissen!»
«Gebba!», rief Juliana mahnend, aber die ließ sich nicht besänftigen.
«Es muss einmal heraus! Sie hat sich hier eingenistet und sich in eure Herzen geschlichen. Nun seht, wohin sie uns gebracht hat!»
«Was wirfst du mir vor?», fragte Danielle.
«Ich weiß nicht, was du getan hast, aber eines weiß ich genau: Dass du uns Unglück bringst!»
«Lass sie in Ruhe», rief Magdalène aufgebracht.
«Es geht doch gar nicht um sie. Eher geht es gegen mich und gegen Auda», warf Anne ein. Sie hatte sich halb vor Danielle gestellt. Die Beginen bildeten zwei lose Halbkreise auf dem Hof: Einige hatten sich um Juliana und Danielle geschart, die anderen um Gebba. Gebba wies mit anklagendem Finger auf die Italienerin: «Ach, Auda, wer sollte denn etwas gegen Auda haben. Sie kann doch nicht einmal lesen und schreiben. Die da ist es, diese allzu schweigsame Bettlerin, die Latein kann und wer weiß was für Hexenkunststücke! Du hast uns, seit du hierhergekommen bist, nichts als Unheil gebracht! Vorher sind wir mit dem Abbé und der ganzen Stadt gut ausgekommen. Niemals gab es irgendwelche Schwierigkeiten!»
«Außer den Schikanen der Wollweberzunft, den feindseligen Ratsherren, den sonntäglichen Predigten über lose Weiber, außer Kerlen, die sich einen Spaß draus machen, gegen unser Tor zu pissen, außer bösen Witzen und Übergriffen …», giftete Manon zurück.
«Ach, das war doch gar nichts! Erst die da hat den Pfaffen so aufgebracht und das allgemeine Misstrauen auf uns gezogen! Da kommt sie daher und hat offensichtlich ein Verbrechen begangen und tut einfach so, als wisse sie von nichts! Und siehe da: Die Inquisition ist uns auf den Fersen! Warum denn? Uns alle kennt der Abbé seit vielen Jahren. Sie ist die einzige Fremde, von der niemand etwas
Weitere Kostenlose Bücher