Die Ketzerbibel
starrsinnige Rechthaber und Raufbolde dazu. Er räusperte sich und sagte: «Es ist nicht nötig, sich etwas auszudenken. Garsende, denk nach: Wurden merkwürdige Gebete gebetet, Formeln, die dir unbekannt vorkamen?»
«Lieber Vater, sei unser Gast …», leierte sie.
«Unsinn! Das beten wir doch auch», schrie Maudru. «Sag ihm, dass sie den Teufel angebetet haben.»
«Wem hast du in der Zeit, als du dort warst, gebeichtet?», fragte Abbé Grégoire.
«Der Meisterin», antwortete Garsende.
«Soso. Der Meisterin. Hat sie dir etwa die Absolution erteilt?Eine Unverschämtheit! Das nützt dir gar nichts. Komme am Sonntag zu mir in den Beichtstuhl, sonst fährst du in die Hölle! – Und wurde aus Büchern vorgelesen?», fragte Grégoire.
«Ja, nach dem Essen.»
«Aus was für Büchern?»
«Aus dem Leben der heiligen Agnes von Rom.»
«Da hört Ihr’s selbst, Hochwürden. Sie haben ihr erzählt, dass man heilig wird, wenn man sich Männern verweigert! Seitdem habe ich die größten Schwierigkeiten mit ihr!», beschwerte sich Maudru.
«Es ist deine eheliche Pflicht, deinem Manne beizuwohnen, um Kinder zu zeugen.», sagte salbungsvoll der Abbé.
«Aber ich wohne doch bei ihm, und Kinder kann ich keine mehr kriegen, hat die Hebamme gesagt», erwiderte Garsende mit unschuldigem Blick.
«Halt’s Maul, du blöde Kuh!», schrie Maudru, rot im Gesicht.
«Mäßige dich, mein Sohn. Also zurück zu den Beginen. Ist dir nichts Ungewöhnliches aufgefallen? Haben sie Katzen?»
«Ja. Eine», antwortete Garsende.
«Und herzen sie diese Katze wie einen Menschen oder noch mehr?»
«Ja, ich habe gesehen, wie die Küchenfrau Annik die Katze geküsst hat.»
‹Aha!›, dachte Grégoire. Laut sagte er: «Feiern sie nächtliche Feste oder halten Rituale ab?»
«Sie schlafen in der Nacht.»
«Blöde Kuh, verdammte!», brüllte Maudru.
«Diese Bettlerin, die sich jetzt Danielle nennt – hat sie dir etwas aus ihrem Leben erzählt? Wo sie herkommt oder was sie vorher gemacht hat?», fragte Grégoire weiter.
«Sie kommt aus Neapel oder von irgendwo dort, sagteMagdalène. Jeanne meint, sie sei eine verwunschene Prinzessin», berichtete Garsende.
«Ich habe dich nicht gefragt, was andere sagen. Du hast doch Tag und Nacht mit ihr zusammengelebt. Da musst du doch selbst einen Eindruck bekommen haben. Denk nach, Weib!»
«Sie stöhnt und spricht im Schlaf. Es war schwer zu verstehen», versuchte Garsende, sich aus der Affäre zu ziehen.
Abbé Grégoire fixierte sie mit eisigem Blick.
«Einmal hat sie im Schlaf geweint und gemurmelt: ‹Ich habe getan, was ich konnte› – ‹nicht meine Schuld› – ‹schwöre›, oder so ähnlich. Dann hat Magdalène sie geweckt und sie in die Arme genommen und gewiegt wie ein Kind.»
«Was war nicht ihre Schuld? Was hat sie getan?», setzte Grégoire nach.
«Ich weiß es doch nicht! Ich habe sie andern tags gefragt, aber sie konnte sich nicht an den Traum erinnern. Sie spricht nicht über ihre Vergangenheit. Aber sie hat gewiss nichts Schlechtes getan. Sie ist freundlich und mitleidig und gut.» Trotzig sah sie ihren Ehemann an.
«Blöde …», wollte Maudru wieder loslegen, aber Grégoire brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
«Waren sonst noch fremde oder dir unbekannte Frauen im Haus?»
Maudru grinste und hob die Hand. «Na? Wird’s bald!»
«Da ist eine alte Frau. Auda.»
«Soso. Auda. Wo kommt sie so plötzlich her, diese Auda?»
«Ich habe gehört, sie sei aus Toulouse», sagte Garsende kaum hörbar.
‹Schau an. Dort hat man doch gerade so ein Nest ausgeräuchert›, dachte Abbé Grégoire und fuhr fort: «Kam sie aus einem anderen Beginenhof?»
«Ja, so heißt es», gab Garsende mit leiser Stimme zu.
Grégoire schickte seine Prediger herum und sammelte auch selbst unermüdlich Informationen. ‹Seine Heiligkeit hat meine Briefe erhalten›, sagte er sich. ‹Und im Gegensatz zu seinem faulen Bischof und seinem allzu nachsichtigen Erzbischof hat er danach gehandelt. Er verlässt sich auf mich. Ich werde ihm Ergebnisse liefern!› Er sah sich schon als Sekretär im frischrenovierten Palais zu Avignon sitzen.
Die Wachen am Tor Saint Antoine dachten sich nichts weiter dabei, als eines Abends, sechs Tage nach Grégoires Ketzerpredigt, ein einzelner Dominikanermönch auf einem Maulesel an ihnen vorbei in die Stadt ritt. Es war das Ende eines langen Tages. Müdes Licht ließ die Spitzen des Mont Aventure und den langen Rücken der Chaîne de la
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