Die Ketzerbibel
gepredigt und Irrlehren verkündet. Warst du daran beteiligt?»
«Nein, Euer Eminenz. Ich hab bloß im Hospital gearbeitet und die Kranken zusammengeflickt mit Gottes Hilfe. Meine Aufgabe ist das Wohl des Leibes. Um die Seele sollen sich andere kümmern.»
«Hast du nicht den Sterbenden Tröstung gegeben, indem du ihnen versichertest, dass sie der Sakramente nicht bedürfen, weil sie ohnehin schon Teil Gottes seien?»
«Ja», sagte Auda schlicht. Juliana fuhr zusammen.
«Du hast den Sterbenden die Sakramente ausgeredet?», donnerte Grégoire.
«Nein.»
«Na, was denn nun?»
«Ja, Euer Heiligkeit. Ich habe nicht.»
Der Abbé schnaufte gereizt. «Das Weib versteht ja nicht einmal, was ich sage.»
«Ja, Euer Heiligkeit.» Auda ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
«Der Titel steht mir nicht zu. Sprich mich an mit ‹Vater› oder mit meinem Namen. Also nochmal ganz deutlich: Hast du, Auda, Sterbenden im Hospital oder sonst wo …?»
«Wenn einer die letzte Ölung haben wollte, dann habe ich den Pfaff … – äh – Priester geholt.»
Abbé Grégoire starrte, sie starrte zurück. Dann atmete er tief durch und sagte:
«Wir werden das überprüfen. Denke nur nicht, dass du,weil du von dort fortgelaufen bist, auch deine Missetaten hinter dir gelassen hast. Wisse: Wenn du jetzt und hier freiwillig und bußfertig deine Verfehlungen gestehst, dann kommst du vielleicht mit einer leichten Strafe davon. Wenn du aber jetzt leugnest, und es stellt sich später heraus, dass du unter Eid gelogen hast, dann wirst du den Flammen überantwortet, so wie Jesus gesagt hat: ‹Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie ein und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen›! Bleibst du immer noch bei deiner Aussage?»
«Ja.»
«Kannst du schreiben und lesen?»
«Nein.»
«Gut. Dann lese ich dir etwas vor: ‹Alles was ist, ist Gott. In der Laus ist ebenso viel Gottheit wie in dem Menschen oder in irgendeinem anderen Geschöpf.› Hast du das schon einmal gehört? Antworte wahrheitsgemäß!»
«Ja. Ein Wanderprediger hat so etwas gesagt, und wir Schwestern haben uns deshalb gestritten. Da waren solche, die es geglaubt haben, und solche, die es für baren Unsinn hielten.»
«Und hast du es geglaubt?»
«Nein, das habe ich nicht, denn allein der Mensch ist ja nach Gottes Bild gemacht. Die Laus ist es nicht, also kann sie auch nicht so viel von Gott in sich haben wie ein Mensch. Ich hab den Leuten Mittel gegeben, um ihre Läuse abzutöten. Wenn sie nach Gottes Bild gemacht wären, dann wäre das ja Mord gewesen.»
Im Publikum entstand Heiterkeit.
«Du hast also nicht gepredigt?»
«Nein. Versteh nix davon», brummte die alte Begine.
«Immerhin eine, die es begriffen hat», sagte der Abbé zu Jean de Meaux.
«Und wie kommt’s, dass du hier bist? Bist du nicht wie die anderen verurteilt worden?», fragte er weiter.
«Nein. Es sind ja auch nicht alle als Ketzerinnen verurteilt worden. Mich haben sie zu meiner Familie zurückgeschickt. Die wollten mich aber nicht mehr haben. Ich bin zu alt und hätte nicht mehr recht mit anpacken können.»
Der Abbé hieb mit der Faust auf den Tisch. Keine verurteilte Ketzerin? Das war aber auch zu ärgerlich! «Wir werden an die Inquisition von Toulouse schreiben. So lange, bis deine Aussage bestätigt wird, hast du im Konvent Sainte Douceline zu bleiben!»
«Könnte sowieso nicht mehr weiter», sagte Auda kratzbürstig. «Meine Beine bringen mich noch um.»
Marius beugte sich tief über ein Schriftstück, um sein Lächeln zu verbergen.
Der Abbé und der Mönch berieten sich flüsternd eine Weile miteinander, und der Abbé nickte dann.
«Du bist ja nicht allein gekommen», sagte unterdessen Didier de Bonnefoy. «Die Stadtwachen haben gemeldet, dass sich drei oder vier von euch einige Tage in den Quartieren an der Stadtmauer aufgehalten haben. Wie sind die Namen der anderen, die dabei waren?»
«Mit mir waren dort Marie Sonnier, Barbara Grandjean und Prous Boneta.»
«Und waren das verurteilte Ketzerinnen?»
«Nein», antwortete Auda. «Ich schwöre es beim Heil meiner Seele.»
Marie, Barbara und Prous hatten nicht vor Gericht gestanden, sie hatten sich vorher aus dem Staub gemacht.
«Wohin sind sie gegangen?»
«Was weiß ich? Zu ihren Familien, denke ich. Sie sind jung und können noch arbeiten.»
«Juliana!», rief Abbé Grégoire die Meisterin auf. «Warum,wenn sie keine Ketzerin ist, habt ihr die Aufnahme dieser
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