Die Ketzerbibel
schützende Hand über uns gehalten hat!», sagte sie. «Und danach soll Annik eine neue Amphore Wein anbrechen. Das wird uns helfen, uns zu beruhigen nach diesem Schrecken!»
Als Laura am frühen Abend kam, um den Beginen zum guten Ausgang der Befragung zu gratulieren, traf sie sie in gelockerter Stimmung an. Man konnte es schon eine kleine Feier nennen. Eine Schüssel mit kleinen Gewürzkuchen machte die Runde, und irgendwoher waren noch Mandeln vom Vorjahr aufgetaucht. Die Beginen saßen in kleinen Grüppchen beisammen, lachten und schwatzten.
«Lasst ihr es euch gutgehen? Das ist recht! Ich bin ja so froh, dass es gut ausgegangen ist für euch! Marius hat mir alles erzählt.»
Anne war aufgesprungen und hatte Laura umarmt. Andere Schwestern taten es ihr nach. Laura bekam einen Becher Wein in die Hand gedrückt und Kuchen gereicht. Sie setzte sich zu Anne und Juliana.
«Das muss ja ein schrecklicher Mensch gewesen sein, dieser fremde Mönch! Marius sagt, er kam direkt aus Avignon, ein Abgesandter des Papstes!»
«Mir hat es auf der Haut gekribbelt wie Ungeziefer, als er mich angeschaut hat», berichtete Anne schaudernd. «Als könnte er bis auf meine Knochen blicken.»
Laura ergriff Danielles Hände und drückte sie. «Und du Arme, hattest du Angst? Als ob du etwas dafür könntest, dass du dich nicht erinnern kannst! Wie soll man sich denn da verteidigen? Wie eine Verbrecherin haben sie dich behandelt! Ich hätte schreckliche Angst gehabt!»
Danielle hätte ihre Hände gern weggezogen. Immer noch konnte sie Berührungen schwer ertragen. Doch es war ja herzlich gemeint, und so zwang sie sich, den Händedruck zurückzugeben und Laura anzulächeln. «Angst? Nein, nicht wirklich. Ich habe mich wie erstarrt gefühlt. Ich konnte an gar nichts denken. Vielleicht fühlt sich eine Maus so, wenn sie von einer Schlange fixiert wird.»
«War es so, als man dich damals … du weißt schon … ach, ich bin wieder zu neugierig. Verzeih mir bitte! Ich will doch keine unangenehmen Erinnerungen in dir wecken oder dich kränken! Lass uns einfach über etwas anderes reden!»
Zu Danielles großer Erleichterung ließ Laura sie los und wandte sich Juliana zu. Das Gespräch kreiste nun um alltägliche Angelegenheiten. Sie sprachen über die Armenpflege in Pertuis und tratschten ein wenig über verschiedene Leute in der Stadt. Danielle lehnte sich zurück. Sie machte sich unsichtbar, wie es ihre Gewohnheit war, und hörte nach dieser und jener Seite hin den Gesprächen zu, ohne etwas dazu beizutragen.
Bevor Laura den Beginenhof verließ, nahm sie Gebba beiseite.
«Ich habe gehört, dass du einer von deinen Schwestern deine Zuneigung und Vergebung verweigerst. Das ziemt sich nicht. Wie kannst du einen solchen Groll gegen sie hegen, dass du dich sogar gegen die Hausregel nicht am Ende des Tages mit ihr versöhnst? Was hast du denn nur gegen sie?»
Da Gebba Laura verehrte und vor ihr nicht schlecht dastehen wollte, dachte sie nach, ehe sie antwortete.
«Ich weiß auch nicht, was es ist. Sie macht mich wütend, wenn ich sie nur sehe! Sie muss doch etwas verbrochen haben. Wie kann sie da den Kopf so hoch tragen und so verstockt schweigen?»
«Aber zieh doch einmal in Betracht, dass es nicht Verstocktheit ist, sondern dass sie wirklich nichts sagen kann. Wie würdest du dich fühlen, wenn du unter lauter fremden Menschen wärst und nicht mal zu dir selber Vertrauen haben könntest?»
«Dann soll sie nicht so ruhig und so hochnäsig sein! Wenn ihr Stolz doch nur einmal zusammenbrechen würde, wenn sie einmal zugeben würde, dass sie gefehlt hat! Wenn sie mich nur ein einziges Mal bitten würde, ihr zu helfen, dann würde ich es ja gern tun.»
«Ja, das ist es, Gebba: Du möchtest gebeten werden. Du willst unbedingt, dass sie Schwäche zeigen soll. Du nimmst ihr ihre Stärke übel, statt sie dafür zu bewundern. Vielleicht muss sie sich so eine Rüstung anlegen, weil sie sich von dir ständig angegriffen fühlt. Vielleicht würde sie sich dir öffnen, wenn du freundlicher wärst. Willst du es nicht versuchen?»
Gebba schnaufte widerwillig. Was für ein Wesen um diese Frau gemacht wurde! Jetzt setzte sich auch noch Mestra Laura für sie ein.
«Tu es doch deinen anderen Schwestern zuliebe! Diese Missstimmung ist für alle schwer zu ertragen.»
Am späten Nachmittag des nächsten Tages kam Danielle aus dem Garten in die Weberei und setzte sich an ihren Hochwebstuhl. Still zog sie das Schiffchen durch das Fach und ließ
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