Die Ketzerbibel
ich es einfach alles vergessen habe. Bitte, dränge mich nicht mehr und lass mich einfach Danielle sein, eine Seelschwester. Es ist ein Geschenk des Himmels. Und wenn ich dir zu stolz erscheine, dann verzeih mir, wenn du kannst. Es ist nicht Stolz, eher eine gewisse Leere, die ich erst langsam wieder füllen muss. Ich weiß ja gar nicht, worauf ich stolz sein sollte.»
Gebba dachte immer wieder über diese Worte nach. Sie verstand sie nicht recht, aber sie bemühte sich von nun an, freundlicher zu Danielle zu sein.
12.
Eine Pomeranze. Er hatte ihr eine Pomeranze mitgebracht. Weiß der Himmel, wie sie nach Pertuis gelangt war. Auf dem Landweg oder auf einer Caravelle von Genua über Marseille, durch die Sümpfe und die
marais salants
, die Salzgärten der Bouches du Rhône bis Avignon, dann über die Treidelwege die Durance hinauf? War sie für den Tisch der Grafen von Forqualquier bestimmt gewesen, oder sollte sie die Gemächer eines Bischofs parfümieren? Carolus freute sich wie ein Kind, als er ihr die Frucht überreichte. Er sah sie erwartungsvoll an.
Die Pomeranze war birnenförmig und grünlich mit nur einem Anflug von Hellrot, unreif gepflückt. Sie roch bitterfruchtig und ein wenig nach Seeluft. Ihr Duft prickelte in ihrer Nase, säuerlich würzig und belebend. Danielle rollte die Frucht in ihren Händen hin und her, ritzte die pockige Schale mit einem Fingernagel und roch noch einmal daran.
«Pomum aurantium, der goldene Apfel der ewigen Jugend. Das Geschenk Gaias an die Göttin Hera. Und Herkules, der große Held, hat sie nicht einmal selbst gestohlen, sondern hat einen Dummen gefunden, der es für ihn tat.»
Sie lachte und warf die Frucht in die Luft, fing sie wieder auf, schnupperte wieder daran. «Wo habt Ihr sie gefunden?»
«Ich bin heute Morgen zum Hafen gerufen worden, um einen kranken Kaufmann zu behandeln. Er hatte eine Ladung Spezereien für die Grafen von Forqualquier an Bord und zeigte mir stolz diese Früchte. Da hab ich ihn – als Honorar – um eine gebeten.»
«Und Ihr schenkt sie mir? Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann.» Sie lächelte ihn fast ein wenig spitzbübisch an. «Danke! Es freut mich. Es freut mich wirklich! Und jetzt möchtet Ihr sicher wissen, ob sie mich an etwas erinnert. In der Tat, das tut sie. Sie erinnert mich an den Frühling meiner Kindheit. Ja. Ich weiß jetzt, dass ich in Neapel geboren bin, aufgewachsen an den rauchenden Hängen des Vesuvio, unter einer anderen Sonne als der euren, heißer und doch freundlicher. Unter einem Himmelsblau, das härter ist und doch fröhlicher. Unter Menschen, die euch ähneln, aber doch ganz anders sind. Wir sind von sanguinischem Temperament, wo ihr cholerisch seid; lebenslustiger und lauter sind wir. Nicht so heimlich und verschlossen, so voller Angst. Ich weiß, dass ich eine sorglose Kindheit hatte. Das spüre ich in meiner Einstellung zur Welt. Es ist ein Vorteil, behütet und im vollen Vertrauen aufzuwachsen, dass einem die Welt offensteht, dass sie freundlich ist. Aber es ist auch ein Nachteil. Man wächst auf ohne Schale, ohne Rüstung. Ganz nackt und verletzlich. Wehe, wenn dann die Welt ihr wahres Gesicht zeigt.»
Ein Ausflug aufs Land. Papa, mit einem Falken auf dem Arm, reitet voran. Über die Hügel des Vomero, durch Pomeranzen- und Zitronenhaine, durch Felder und dazwischen lichte Eichenwälder, vor ihr der alles überragende schwarze Kegel des Vesuvio, auf dessen heißem Sand die besten Weinreben wachsen. Der Himmel ist heiter, viel heiterer noch als in der Provence, das Meer smaragdgrün, die Zukunft ist ein Märchen. ‹Ich werde einmal Ritter› , ruft ihr Bruder Flavio zu, ein dicklicher, kleiner Bursche auf einem kleinwüchsigen Pferd. ‹Ich auch! Ich auch!› schreit Basilio, der Zehnjährige. ‹Und ich werde …› , beginnt sie. ‹Du bist ein Mädchen, du wirst gar nichts; du heiratest!› , sagt Flavio mit der ganzen Verachtung eines Jungen, der soeben das große Ausmaß des kleinen Unterschieds entdeckt hat. ‹Ich heirate gar nie und ich werde, ich werde …›
Aus der Küche erscholl ein Aufschrei, und gleich darauf hörte man das Zerbersten von Geschirr.
«Was machst du denn, was machst du denn bloß? Meine guten Schüsseln!», zeterte Annik. «Pass doch auf, du Tollpatsch. Was ist denn bloß los mit dir, du bist doch sonst nicht so ungeschickt, Magdalène! Meine Mutter selig …» Es entstand eine Pause. «Magdalène!», kreischte Annik.
Danielle war aufgesprungen, die
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