Die Ketzerbraut. Roman
schluckte, denn eine Ehefrau war das Letzte, was er im Augenblick brauchen konnte. Nach einem Moment des Nachdenkens aber atmete er auf. Sein schlechter Ruf würde es seinem Vater schwer, wenn nicht sogar unmöglich machen, eine passende Braut für ihn zu finden. Keiner der bessergestellten Bürger hier in München würde seine Tochter einem Mann geben, den ein Doktor Portikus von der Kanzel herab als Schande für die Christenheit bezeichnet hatte.
Es war, als hätte der Vater seine Gedanken gelesen, denn er grinste schadenfroh. »Ich werde mich im Ausland nach einer passenden Partie für dich umsehen. Mein alter Freund Bartholomäus Leibert verheiratet seine Tochter nach Innsbruck, und das halte ich für eine kluge Idee. Eine Tirolerin wäre genau das Richtige für dich. Die Weiber dort gelten als handfest und wissen sich durchzusetzen. Das dürfte auch dein Freund Bartl bald zu spüren bekommen. Sein Vater plant nämlich, ihn mit einer Schwester von Genovevas Bräutigam zu verheiraten. Da Ferdinand Antscheller zwei Töchter im passenden Alter hat, habe ich dir eine davon zugedacht. Also werden Bartl und du Schwäger sein. Freut dich das nicht? Du magst deinen Freund doch so sehr, dass man euch bereits widernatürliche Dinge nachgesagt hat!«
Da Bartl und er als Buben nicht mehr getan hatten, als einmal nachzumessen, wer von ihnen das längere Stengelchen in der Hose hatte, winkte Ernst verächtlich ab. »Das ist bloß das Geschwätz dieses Pfaffen, der sich an mir rächen will, weil ich ihn bei einer zu intimen Beichte mit einem seiner weiblichen Pfarrkinder erwischt habe.«
»Pater Remigius hat gefehlt, das gebe ich zu. Trotzdem war es nicht richtig von dir, ihn dem Gespött der Leute auszuliefern«, gab sein Vater bissig zurück.
»Müssen wir denn zulassen, dass die Pfaffen unseren Frauen und Mädchen unter die Röcke greifen und noch mehr mit ihnen tun? Oder hast du vergessen, dass Pater Remigius der Tochter unseres Nachbarn weisgemacht hat, jeder Stoß seines Riemens brächte sie dem Himmelreich näher?« Nun wurde Ernst so zornig, dass er es wagte, gegen seinen Vater aufzubegehren.
»Das Mädchen ist doch nicht ganz richtig im Kopf! Eine andere wäre bestimmt nicht auf diesen Pfaffen hereingefallen. Außerdem reden wir hier nicht über Remigius, sondern über dich! Wenn es darum ginge, ein Mädchen ins Himmelreich zu rammeln, könnte dir wohl niemand das Wasser reichen.«
Eustachius Rickinger versetzte seinem Sohn einen Schlag mit der linken Hand. »Mach, dass du ins Bett kommst! Ab morgen sitzt du brav im Kontor und arbeitest. Ich habe meinen Kommis nach Innsbruck geschickt, und da Bertram erst in zwei Wochen zurückkehren dürfte, wirst du seine Aufgaben übernehmen. Wage es aber ja nicht, nachlässig zu sein!«
Mit diesen Worten nahm der alte Rickinger den Kerzenhalter aus dem Kontor und ging zu seiner Schlafkammer hinüber.
Ernst sah ihm einige Augenblicke nach und stieg dann die steile, durch eine blakende Unschlittlampe kaum erhellte Treppe hoch. Oben zündete er die Kerze seiner Zimmerlampe an jener an, die im Flur brannte, und zog sich aus. Während er sich mit dem Wasser aus der Schüssel wusch, fragte er sich, wie er sich zu den Drohungen seines Vaters stellen sollte. Anders als jener wie die meisten Leute von ihm dachten, war er keineswegs ein Hurenbock, der jedem Rock nachstellte. Zwar hatte er nichts dagegen, sich von Zeit zu Zeit mit einem hübschen Mädchen im Bett oder auf dem Heuboden zu wälzen, doch er kannte genug Männer in der Stadt, deren Lebenswandel weitaus ausschweifender war als der seine. Auch war sein Vater, soweit er gehört hatte, in seiner Jugend ebenfalls kein Kostverächter gewesen, und was er von einigen Münchner Klerikern zu halten hatte, wusste er sehr wohl. Der überwiegende Teil war gut und gerecht, aber der Rest brachte mit seiner Gier nach Frauen, wenn nicht gar nach Knaben, die gesamte Geistlichkeit in Verruf.
Auch aus diesem Grund hatte er sich jener Gruppe von Bürgern angeschlossen, die für grundlegende Reformen in der Kirche eintrat. Ihr Sprachrohr war in erster Linie Doktor Martinus Luther aus Wittenberg, der mit seinen fünfundneunzig Thesen die verderbte Kirche ins Mark getroffen hatte. Bei dem Gedanken an den mutigen Mönch fiel Ernsts Blick auf ein Flugblatt, das noch in seiner Kleidung steckte. Er nahm es in die Hand und las den sauber gedruckten Text. Ein wenig fühlte auch er sich von der Kritik an dem schlechten Lebenswandel der Menschen
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