Die Ketzerbraut. Roman
getroffen, denn ein Vorbild an Keuschheit war er wahrlich nicht. Andererseits bot ihm sein Ruf einen gewissen Schutz, denn ein Doktor Portikus würde ihn als Letzten verdächtigen, sich mit Schriften zu beschäftigen, in denen die strenge Auslegung der Heiligen Schrift und ein wohlgefälliger Lebenswandel aller Menschen gefordert wurden.
Ernst verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln, als er an den Theologen dachte. Portikus suchte Rache, weil er die Untaten mehrerer Kirchenmänner ans Tageslicht gebracht hatte, anstatt wegzuschauen und den Mund zu halten. Daher durfte er den fanatischen Kleriker nicht unterschätzen, der als schlichter Ägidius Thürl zur Welt gekommen war und sich nun hochtrabend Portikus nannte. Dieser würde seinen ersten, noch so kleinen Fehler ausnützen, um ihn als Ketzer anzuzeigen.
Seufzend legte er das Flugblatt beiseite, ging zu Bett und blies das Licht aus. Doch er konnte nicht einschlafen. Immer wieder amüsierte er sich bei dem Gedanken, welche Augen etliche Bürger am nächsten Morgen bei der Messe machen würden, wenn sie Martin Luthers Schriften auf ihren Plätzen vorfanden.
»Portikus wird vor Wut platzen und vom Herzog fordern, die Überwachung der Bürger weiter zu verschärfen. Also muss ich noch schlauer sein als bisher«, sagte er zu sich selbst.
Dann dachte er an seine Zukunft. Was war, wenn sein Vater ihm ein Eheweib aufhalste, das er nicht mochte und mit dem er auch im Bett nicht zurechtkam? Viele Pfaffen redeten den Weibern ein, es sei bereits eine Sünde, Vergnügen am Verkehr mit dem eigenen Mann zu finden. Daher hielten etliche ihre Schenkel fest geschlossen und gaben nur nach, wenn der Ehemann mit Prügeln drohte. Solch ein Weib wollte er wirklich nicht sein Eigen nennen. Doch was blieb ihm übrig, wenn sein Vater ihn aufforderte zu heiraten?
Wahrscheinlich ebenso wenig wie seinem Freund Bartl Leibert. Der war fest überzeugt, nur die Schwester zu deren Bräutigam zu bringen, und ahnte nicht, dass er im Haus der Antscheller in Innsbruck gnadenlos gemustert werden würde, ob er als Ehemann für eine der Töchter in Frage käme. Da fiel Ernst ein, dass auch er eine Antscheller-Tochter heiraten musste, und in diesem Augenblick kam er sich vor wie ein Tier, das zur Schlachtbank geführt werden sollte. Mit diesem beängstigenden Gedanken schlief er ein.
10.
A ls Veva erwachte, starrte sie verwirrt in die Dunkelheit. Eben hatte sie geträumt, es wäre bereits heller Tag und die Mutter träte an ihr Bett, um sie zu wecken. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass die Mutter längst nicht mehr am Leben und sie selbst eine Gefangene von Wegelagerern und Mördern war.
Erschrocken richtete sie sich auf und horchte. Von draußen klangen rauhe Stimmen herein. Die Räuber schienen sich heftig zu streiten. Vorsichtig stand sie auf und tastete sich zur Tür. Als sie das rechte Ohr gegen das rissige Holz legte, konnte sie einiges von dem verstehen, was draußen gesprochen wurde.
»… verzichte nicht auf mein Recht! Die Gefangene gehört uns allen. So war es immer, und das soll auch jetzt so sein«, rief einer der Schurken aufgebracht. Den Geräuschen nach näherte er sich der Tür.
Am Vortag noch hatten sie die Räuber entgegen aller Gerüchte, die über die Bande im Umlauf waren, in Ruhe gelassen. Doch ihre Schonfrist war wohl vorbei. Ihr Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken, ein hilfloses Opfer jener Scheusale zu werden, die ihren Bruder getötet hatten. Doch sie hatte nichts, mit dem sie sich hätte wehren können. Irgendjemand hatte ihr einmal gesagt, eine Frau, die von der Schändung bedroht werde, solle den Tod durch eigene Hand suchen. Dann gälte sie nicht als Selbstmörderin, sondern als Märtyrerin, deren Seele durch die Heilige Jungfrau sofort ins Himmelreich aufgenommen würde. In der vergangenen Nacht hätte sie den Tod als Freund begrüßt. Doch in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie noch nicht sterben wollte.
Von Ängsten und Schreckensvisionen geschüttelt, hatte sie nicht weiter auf den Wortwechsel in der Höhle geachtet. Nun aber hörte sie, wie sich immer mehr Bandenmitglieder der Forderung ihres Kumpans anschlossen.
»Wenn Ihr das Mädchen nicht als Erster haben wollt, werden wir um sie würfeln«, rief einer.
»Genau! Bringt Würfel und den Becher. Das wird ein Spaß«, stimmte ein anderer zu.
Da drang die Stimme des Hauptmanns zu Veva durch. »Meinetwegen könnt ihr würfeln, doch ihr würfelt um euren Tod. Keiner rührt die
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