Die Ketzerbraut. Roman
Herrin braucht ihn nämlich jetzt!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er los. Da der Pförtner des Fuggerhauses ihn als Vevas Faktotum kannte, ließ er den Jungen ein und eilte selbst durch das Haus, um Ernst zu holen.
Während Nis wartete, betrachtete er den Eingangsbereich des Hauses, den Fugger nach italienischer Art hatte gestalten lassen, und befand, dass ihm dieses Gebäude zu protzig war. Allerdings gehörte Fugger zu den reichsten Bürgern von Augsburg und konnte sich so etwas leisten. Gegen dieses Gebäude war das Haus, in das Veva und Ernst einziehen wollten, geradezu winzig zu nennen. Dennoch gehörte es zu den besseren Häusern der Stadt, und er freute sich darauf, die Enge seiner elterlichen Wohnung verlassen und dort einziehen zu können.
»Ist etwas mit meiner Frau?«
Ernsts Frage brachte Nis wieder in die Gegenwart zurück. »Nein, Herr, der geht es gut. Aber ihrem Vater nicht, denn den hat der Herrgott zu sich geholt!«
»O Himmel, die arme Veva! Wo ist sie? Ich kann sie jetzt nicht allein lassen.« Ernst packte den Jungen, als wolle er die Antwort aus ihm herausschütteln.
Nis zeigte in die Richtung, in der er die Fuggerei wusste. »Sie ist nach Hause gegangen und hat mir die Aufsicht über die Handwerker übertragen. Keine Angst, ich gebe schon acht, dass sie alles richtig machen.«
»Das weiß ich doch!« Ernst strich dem Jungen über das Haar und forderte den Pförtner auf, ihm seinen Mantel zu bringen. Kaum hatte er ihn übergeworfen, eilte er davon. Draußen tanzten einzelne Schneeflocken um ihn herum, doch er merkte es nicht.
In der Fuggerei angekommen fand er Veva am Tisch in der dämmrigen Küche. Sie saß auf ihrem dreibeinigen Hocker, hatte das Kinn auf die Hände gestützt und starrte ins Leere. Als Ernst einen Fidibus in das fast niedergebrannte Herdfeuer hielt und eine Kerze damit anzündete, bemerkte er die nassen Spuren auf ihren Wangen. Doch anders als andere Weiber, die er kannte, brachte sie ihren Kummer nicht durch lautes Schreien zum Ausdruck, sondern weinte lautlos.
Zunächst glaubte er, sie hätte ihn nicht bemerkt. Doch da hob sie den Kopf und sah ihn an. »Jetzt habe ich alles verloren. Vor einigen Jahren war es die Mutter, dann der Bruder, und nun hat Gott mir auch noch den Vater genommen.«
»Du hast ja noch mich!« Bereits während er es sagte, erschien Ernst der Satz banal.
Veva nickte gedankenverloren. »Ja, ich habe noch dich.«
Vor ein paar Wochen, dachte sie, hätte sie sich eher die Zunge abgebissen, als das zuzugeben. Doch mittlerweile gab es ein Band zwischen ihr und Ernst, von dem er noch nichts ahnte. Nun stimmte es sie traurig, dass ihr Vater dies nicht mehr erfahren würde.
»Cilli und der Schwab bitten mich, nach München zu kommen«, erklärte sie leise.
»Wir werden beide hinreisen! Da fällt mir ein: Wer kümmert sich derzeit um die Geschäfte in München? Halte mich nicht für herzlos, aber das ist wichtig.« Trotz dieses Zusatzes fürchtete er, sie würde ihm seine Frage übelnehmen.
Veva seufzte und wies auf den Brief, den sie von Echle erhalten hatte. »Das Schreiben hier ist von deinem Vater. Er teilt uns mit, wir bräuchten uns keine Sorgen zu machen und es gäbe auch keinen Grund für uns, nach München zu kommen. Bis wir kämen, wäre mein Vater längst begraben, und die Geschäfte seien bei ihm in besten Händen.«
Ernst schüttelte den Kopf, denn ihm gefiel es nicht, dass sein Vater sich ohne Rücksicht zum Sachwalter des Vermögens aufgeschwungen hatte, welches seiner Frau als Erbe zustand. Da es jetzt jedoch vor allem darum ging, Veva zu trösten, verbannte er diesen Gedanken aus seinem Kopf und setzte sich zu ihr. »Dein Vater war ein guter Mann!«
Obwohl Veva die Missachtung ihrer Fähigkeiten, die ihr Vater offen gezeigt hatte, immer noch weh tat, nickte sie. Viele ihrer Freundinnen waren schlimmer dran gewesen. Immerhin hatte er sie nur selten geschlagen und war auf seine Weise sogar stolz auf ihre hausfraulichen Fertigkeiten gewesen. Trotzdem hätte sie gerne mehr Zeit mit ihm verbracht und mit ihm über den Handel gesprochen. Immerhin unterstützten die meisten Frauen der Münchner Kaufleute ihre Männer in ihren Geschäften, und manch eine hielt in Wahrheit die Zügel in der Hand.
»Was sollen wir tun? Auf das Wort meines Vaters vertrauen und hierbleiben? Oder doch nach München reisen?«, fragte Ernst.
»Ich will am Grab meines Vaters und an dem meines Bruders beten!«
Ernst legte die Arme um sie und küsste sie
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