Die Ketzerbraut. Roman
und irgendwann hatte sie es aufgegeben, es ihm zu erklären. Mittlerweile verabscheute sie ihn regelrecht und wünschte, ein anderer hätte sie gerettet und sich ihre Achtung und Dankbarkeit verdient.
Haselegner ritt auf das Isartor zu und hielt die Tiere dicht vor den Stadtknechten an. »Grüß euch Gott! Lasst mich und Jungfer Genoveva ungesäumt passieren, denn wir bringen schlimme Nachricht! Der brave Bartl Leibert lebt nicht mehr. Wüste Räuber haben ihn im Gebirge erschlagen, seine Schwester in ihr Versteck verschleppt und ihr dort so einiges angetan.«
»Der Teufel soll die Kerle holen! Das waren sicher wieder diese Tiroler Schurken, die aus ihren Bergtälern herauskommen, um ehrliche Leute zu ermorden und deren Frauen zu schänden. Wüsste man, wo sie sich versteckt hielten, könnte man sie verfolgen und ausräuchern.« Der Hauptmann der Torwächter ballte die Rechte zur Faust und drohte damit nach Süden.
»Ich habe mit dem Amtmann von Kiefersfelden gesprochen. Er sagt, diese Schurken hätten Verstecke in allen Landen, die es im Gebirge gibt, und sie zu fangen wäre eine Aufgabe, für die man einen neuen Herkules bräuchte«, antwortete Haselegner mit einem leisen Auflachen.
»Ich sage ja: Tiroler und Werdenfelser! Die tun unserer Stadt München und unserem guten Herzog Wilhelm alles zum Trutz«, antwortete der Torhüter aufgebracht und gab seinen Männern Befehl, Veva, Haselegner und die fünf Knechte durchzulassen, die der Kaufmann zu ihrem Schutz angeheuert hatte.
»Zum Verzollen habt ihr ja sicher nichts dabei«, setzte er noch hinzu.
Einer seiner Untergebenen lachte. »Nicht einmal die Jungfernschaft von der Veva, denn die ist nach dem Aufenthalt bei diesen Räubern ein für alle Mal dahin!«
»Gott sei’s geklagt«, antwortete Haselegner mit einem Seufzer und musterte Veva mit seltsamem Blick.
Die junge Frau sank noch mehr in sich zusammen und hoffte, so rasch wie möglich in ihrem Elternhaus Zuflucht zu finden. Doch der Ritt durch das Tal wurde zum Spießrutenlaufen. Die Menschen eilten aus ihren Häusern oder rissen die Fenster auf, um sie anzustarren. Da sie sich nicht gerade leise unterhielten, bekam sie rasch mit, dass die Kunde von dem Überfall und dem Tod ihres Bruders ihr vorausgeeilt war.
Sie nahm die teils mitleidigen, teils aber auch sensationslüsternen Blicke der Menschen wahr und flehte die Heilige Jungfrau an, es rasch vorübergehen zu lassen. Zu ihrem Ärger hielt Haselegner immer wieder an, um mit Passanten zu reden. Er schimpfte über die Schlechtigkeit der Oberländer Räuber und ließ sich in aller Deutlichkeit über die vermeintlichen Schändungen aus. Veva hatte zunehmend den Eindruck, es bereite ihm direkt Freude, ihre angebliche Schande vor der ganzen Stadt auszubreiten. Daher atmete sie erleichtert auf, als ihr väterliches Anwesen in Sicht kam und ein Knecht rasch das Tor öffnete. Der Mann, den sie seit ihrer Kindheit kannte, blickte sie erschrocken und voller Mitleid an. Ihren Vater entdeckte sie nirgends und spürte einen Stich tief in der Brust, weil sie es ihm nicht einmal wert war, ihr die paar Schritte in den Hof entgegenzugehen.
Noch während sie gegen die Tränen ankämpfte, trat der Knecht auf sie zu und streckte ihr die Hände entgegen, um sie vom Maultier zu heben. Veva nickte dankend und fand sich gleich darauf auf festem Boden wieder. Als sie ihren Rock zurechtzog, wurde ihr bewusst, dass sie immer noch das Kleid trug, das ihr der Räuberhauptmann aufgenötigt hatte.
Am Hauseingang hatte sich das gesamte Gesinde eingefunden, um sie zu begrüßen. Sie spürte Hände, die sie sanft berührten, und sah die Köchin und mehrere Mägde weinen. Die Frauen geleiteten sie bis zu der Tür des Raumes, in dem ihr Vater sein Kontor eingerichtet hatte.
Bartholomäus Leibert saß mit starrem Gesicht auf seinem gepolsterten Stuhl und hielt eine Schreibfeder in der rechten Hand. Als Veva in seine Augen blickte, erkannte sie die unendliche Verzweiflung, die in ihm wühlte.
Bevor sie ein Wort wechseln konnten, trat Haselegner ein und blieb neben ihr stehen. »Ich bringe Euch Eure Tochter zurück, Leibert. Sie hat Furchtbares durchgemacht. Leider war ich nicht in der Lage, auch Euren Sohn zu retten. Bartl wurde von den dreisten Schurken schon bei dem Überfall umgebracht!«
Vevas Vater hob den Kopf, ohne Haselegner oder seine Tochter direkt anzublicken. »Ich habe es bereits gehört. Möge die Seele meines Sohnes den Weg ins Paradies finden, auf dass er vor den
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