Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
ermahnende Worte zu Rosa sagen sollte, doch wäre dies in etwa so wirkungsvoll, wie von einer wilden Krähe Gehorsam zu verlangen. Tief in ihrem Inneren bewunderte sie Rosas hartnäckige Missachtung der gesellschaftlichen Rangordnung, auch wenn sie zu vorsichtig war, um deren Beispiel zu folgen.
Rund um den Tisch waren bereits etliche Perfachs versammelt, die aus den Häusern von Pàmias und der Umgebung gekommen sein mussten, um an dem wichtigen Ereignis teilzuhaben. Männer und Frauen saßen getrennt, sodass Adelind mit ihren sociae an der linken Seite Platz nahm. Die hohe, magere Gestalt von Guilhabert de Castres erhob sich wie ein stolzer weißer Adler, um das Paternoster zu beten. Sie stimmten alle ein, sodass murmelnde Stimmen den Raum füllten. Dann wurde wie gewohnt ein Brotlaib in kleine Stücke gebrochen, die der Stellvertreter von Gaucelin, des katharischen Bischofs von Tolosa, an alle Anwesenden verteilte. Nach einer kurzen Ansprache von Guilhabert de Castres gab der Comte de Foix seinen Bediensteten ein Zeichen, und Fischsuppe wurde als Morgenmahl aufgetragen. Man aß leise plaudernd. Adelind war erleichtert über die wohlige Wärme in ihrem Magen, der seit Tagen vor Aufregung knurrte. Schließlich stand der Graf auf, um sie alle in seinen Rittersaal zu führen.
Adelind fügte sich in die Kolonne schwarz gewandeter Gestalten. Auf einmal war sie Teil eines großen Ganzen geworden, das würdevoll in erhabener Schlichtheit voranschritt, um einem mächtigen Gegner die Stirn zu bieten. Echte Freude erwachte in ihr, Stolz, dass sie neben Rosa zu Esclarmondes Auserwählten gehörte. Sie wusste, dass sie sich alle wichtigen Wendungen und Entwicklungen des bevorstehenden Streitgesprächs genau einprägen sollte, um Ursanne und Hildegard Bericht erstatten zu können.
Der Rittersaal war mit Kerzenhaltern, Wandbehängen und Bronzepokalen auf einer riesigen Tafel geschmückt worden, sodass er mehr einer katholischen Kirche glich denn einem Versammlungsort der Katharer. Aus einer gegenüberliegenden Tür strömten bereits die Vertreter Roms herein. Adelind sog ihre Farben in sich auf: rote, blaue und grüne Casulas, goldene Borten und weiße, spitze Bischofshüte. Krummstäbe wurden an die Tischkante gelehnt, als der Klerus langsam Platz nahm. Hinter den prachtvoll herausgeputzten Kirchenfürsten tauchten schlichtere Gestalten in Mönchskutten auf, die sich nicht wesentlich von den Katharern unterschieden, doch ein Umstand stach Adelind sogleich ins Auge: Die Katholiken hatten keine Frauen zu dem Disput geschickt. Sie wusste, dass Mutter Mechtildis sich mit Feuereifer in eine Debatte mit Häretikern gestürzt hätte, doch wäre ihr dies nicht vergönnt gewesen. Erstaunen malte sich auf einigen Mönchsgesichtern, als die Perfachas im Gefolge der Männer den Raum betraten. Manche grinsten belustigt, und Adelind vermeinte gar das Flüstern anzüglicher Bemerkungen zu vernehmen. Zum Glück war Hildegard in Carcassona geblieben, denn sie hätte dies nur schwer ertragen können. Die meisten jedoch beschränkten sich darauf, befremdet und schlichtweg neugierig zu starren. Von den vier Bischöfen wurden sie und ihre sociae kaum beachtet, denn deren Aufmerksamkeit richtete sich ganz auf jene Personen, die ihnen gegenüber dicht neben der fürstlichen Tribüne platziert waren. Esclarmonde saß gleich hinter Gaucelin, Bischof von Tolosa, Guilhabert de Castres und Benoît de Termes am Kopf der Tafel, wo der Comte de Foix als Burgherr thronte. Trotz der edlen Stoffe, aus denen ihrer aller Gewänder gemacht waren, wirkten die hohen Persönlichkeiten der katharischen Kirche im Vergleich mit ihren Gegnern wie karge Felsen in einem üppig blühenden, fast unangenehm süßlich duftenden Paradiesgarten, aber ebendiese Schlichtheit aus schwarz und weiß verlieh ihnen Würde.
Nachdem sich alle bereits ihrem Rang gemäß an der Tafel verteilt hatten, schwang die Eingangstür zum Saal nochmals auf, um vier weitere Gäste einzulassen. Sie trugen ebenfalls einfache Kleidung, doch war diese an vielerlei Stellen zerfetzt und wies große hässliche Schmutzflecken auf. Adelind schien, dass mit ihnen auch ein unangenehmer Geruch in den Raum wehte. Eine von diesen vier Gestalten hatte weiche, glatte Gesichtszüge, die sich bei näherem Hinsehen als eindeutig weiblich erwiesen, doch war das Haar dieser Frau kurz geschoren und ebenso verklebt wie das der Männer.
» Wer in Gottes Namen sind diese Bettler? « , flüsterte Adelind Rosa zu, die ihr
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