Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)

Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
Vom Netzwerk:
Gesamtlage wirklich ganz erfasst hatte.
    In den nächsten Tagen verwandelte die stets lebhafte, aber fröhlich gelassene Stadt sich in einen brodelnden, zischenden, spuckenden, überkochenden Topf, der jeden Augenblick zu bersten drohte. Hunderte von Menschen auf der Flucht vor einem mordenden, plündernden Heer drängten sich schubsend, schreiend und wehklagend durch die Stadttore, denn der Vescomte hatte öffentlich verkünden lassen, dass er all seinen bedrohten Untertanen Schutz gewähren würde. Vom Stadtrat geschickte Büttel versuchten, ein wenig Ordnung in das Durcheinander zu bringen, führten die Neuankömmlinge in rasch bereitgestellte Unterkünfte, die aber bald schon so überfüllt waren, dass manche es vorzogen, im Freien auf dem Straßenpflaster zu schlafen. Adelind nahm sechs weitere Perfachas in der domus auf, musste die gewöhnlichen Credentes aber der Obhut des Vescomte überlassen, denn selbst auf dem Speicher gab es keinen freien Getreidesack mehr, auf dem noch irgendjemand hätte schlafen können. Da unter den Flüchtlingen weiterhin viele Verletzte waren, begann es im Spital endgültig an Verbandszeug und heilenden Kräutern zu mangeln, doch konnte Adelind weiterhin Mabile und Olivette losschicken, um diese Dinge zu besorgen. Emsig hängte sie Bündel von Heilpflanzen im Infirmarium auf, denn sie ahnte, dass die Wiesen und Wälder im Umland bald unerreichbar sein würden.
    Das Refektorium und die Vorratskeller der Kanoniker der Kathedrale wurden auf Wunsch des Vescomte eingerissen, um mit diesem Holz die Stadtmauern zu verstärken. Karren mit Steinquadern und anderen Vorräten trafen in Kolonnen ein, Rinder- und Schafherden wurden durchs Stadttor getrieben, um in einem vom Vescomte bereitgestellten, riesengroßen Lagerraum der Grafenburg untergebracht zu werden. Ein Fischhändler aus der Nachbarschaft, der die domus stets mit Karpfen und Forellen versorgt hatte, kam mit seiner Familie vorbei, um sich zu verabschieden. Er wollte zu Verwandten seiner Frau im Königreich Aragon flüchten, wohin das Heer ihnen kaum folgen würde. Adelind wünschte ihm Glück, und als er sich hatte überreden lassen, sein bescheidenes Heim inzwischen ihrer Obhut zu übergeben, damit dort Notleidende untergebracht werden konnten, erteilte sie ihm aus ganzem Herzen Gottes Segen.
    Die meisten Bewohner aber blieben, rückten eng zusammen, um all den Neuankömmlingen Platz zu machen, und hamsterten emsig Vorräte. Ein jeder wusste, dass die Tore der Stadt bald für unbestimmte Zeit zufallen würden, um sie alle gemeinsam auf Gedeih und Verderb einzuschließen.
    Am Morgen des ersten August fiel laut prasselnder Regen und tränkte die ausgetrocknete Erde mit frischem Nass. Ein Seufzer der Erleichterung zog durch sämtliche Gassen, denn die Brunnen hatten angefangen, selbst tief hinabgelassene Eimer nur noch zur Hälfte zu füllen. Mabile kam völlig durchnässt hereingerannt und erzählte, dass die Aude am Fuße des Hügels, auf dem Carcassona lag, nun wieder ein rauschender Strom geworden war. Auf Adelinds drängende Fragen hin gab sie schließlich zu, mit ein paar Freunden die Stadtmauern hochgeklettert zu sein. Es musste sich um ihren ominösen Cousin und seine Anhänger handeln, erwog Adelind, die immer mehr darüber staunte, was vermeintliche Bettler so alles unternahmen. Aber sie verzichtete darauf, Mabile zu mehr Vorsicht zu ermahnen, denn im Augenblick gab es dringendere Sorgen.
    Adelind machte ihre Runde im Spital. Einige der Verletzten waren bereits in der Lage aufzustehen, und sie musste nun allmählich ein Auskommen für sie finden, denn auf Dauer konnten nicht alle in der domus durchgefüttert werden. Esclarmonde hatte die monatliche finanzielle Unterstützung geschickt und in einem kurzen Brief dazu aufgefordert, auf Gottes Allmacht zu vertrauen. Es schien Adelind kein unbedingt hilfreicher Rat, aber im Geiste verfasste sie bereits eine Antwort. Esclarmonde konnte all diesen mittellosen Menschen aus Bezers und dem Umland sicher eine bezahlte Anstellung verschaffen. Bei Einbruch der Dämmerung hatte sie gerade einen frischen Verband auf eine immer noch eiternde Wunde aufgetragen, als hinter ihr das Getrappel von Füßen eine weitere Menschenmenge ankündigte. Noch mehr Verletzte oder obdachlose Flüchtlinge, dachte sie seufzend. Doch liefen sie erstaunlich schnell. Sie fuhr herum, erkannte die breite, stämmige Gestalt einer jener Mägde, die sie angestellt hatte. Doch eben dieses Mädchen war vor einer Woche

Weitere Kostenlose Bücher