Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
ihre Kräfte zurückkehren. Es musste einen Weg geben, der hier wieder herausführte, überlegte sie und musterte ratlos all jene, die mit ihr eingesperrt worden waren.
Samuel und Mabile saßen Seite an Seite, hielten sich immer noch an den Händen fest. Hildegard versuchte, die weinende Olivette zu trösten. Rosa hatte ihnen allen den Rücken zugekehrt, kauerte in einer Ecke und sprach leise immer wieder das Paternoster. Adelind überwand den Wunsch, auf ihren unbeugsamen Rücken einzuschlagen. Sie selbst war wegen Rosa geblieben. Die anderen vier Menschen aber waren ihretwegen noch hier, deshalb traf sie selbst ebenso viel oder wenig Schuld wie Rosa.
» Sie haben doch versprochen, uns alle gehen zu lassen « , schluchzte Olivette. » Edelleute sollten ihre Versprechen halten, hat meine Mutter immer gesagt. «
Adelind wusste nicht, ob Esclarmonde wirklich an diese Aussage geglaubt hatte, denn dafür hatte die Gräfin zu viel von wahren Staatsgeschäften verstanden. Sie lehnte sich wieder an die Mauern des Raumes. Gleich neben ihr befand sich eine Tür, hinter der Schritte knarschten. Sie rückte ein Stück näher heran.
» Es ist nicht richtig. Wir haben versprochen, alle gehen zu lassen « , verkündete eine helle, junge Männerstimme in tadellosem Latein. Sie kam Adelind seltsam vertraut vor.
» Wir sind davon ausgegangen, die Katholiken nicht von den Ketzern unterscheiden zu können. Deshalb haben wir alle in Bezers getötet und Gott entscheiden lassen, wer in sein Reich einkehren kann « , entgegnete ein ebenso gebildeter Herr, der sich älter und auch selbstbewusster anhörte. » Nun wollten wir sie alle gehen lassen, da wir sie weiterhin nicht unterscheiden konnten. Doch Gott der Herr gab uns ein Zeichen. «
» Aber wenn wir uns hinterhältig benehmen, wird niemand in diesem Land uns Vertrauen schenken « , kam es aufgebracht zurück. » Wir sind hier, um die Menschen zum wahren Glauben zurückzuführen. «
Adelind überkam eine Ahnung, wer der jugendliche Sprecher vielleicht sein konnte. Es hieß, Dominique de Guzmán sei vom Papst zurückgerufen worden, doch nun war er wieder hier.
» Warum ist der Vescomte de Trencavel im Verlies? « , ereiferte er sich weiter. » Wir haben versprochen, ihn freizulassen, sobald wir die Schätze dieser Stadt an uns genommen haben. Seine junge Frau ging auf dieses Angebot ein, und nun wird sie mit ihrem Sohn davongejagt. «
Adelind wurde kalt.
» Die Frau des Ketzerfreundes soll froh sein, dass wir sie gemeinsam mit ihrem Balg haben ziehen lassen. Einige Stimmen haben sich dagegen ausgesprochen, aber am Ende siegte das ritterliche Ehrgefühl « , kam es sogleich zurück. Dieser Mann konnte nicht Diego von Osma sein, denn er klang wesentlich härter und herrischer, als sie den Bischof in Erinnerung hatte.
» Warum eine junge Frau und ihr Kind einsperren? « , hörte sie Dominique fassungslos fragen. » Der Junge ist der Erbe dieser Stadt, die rechtmäßig seinem Vater gehört. Wir sollten einen vertrauenswürdigen Priester zurücklassen, der über die Erziehung des Knaben und das Verhalten seines Vaters wacht. Bitte, lasst mich diese Dinge regeln. Ich spreche mit dem Vescomte, und falls er auf meine Bedingungen eingeht, sollte er freigelassen werden. «
Eine Weile blieb es still, nur Füße schritten über Holzdielen. Der andere Sprecher räusperte sich schließlich, bevor er wieder zum Reden ansetzte.
» Der Vescomte de Trencavel war einst Herr über diese Stadt, aber nun hat er das Recht auf seinen Besitz verloren. Im Rittersaal wird bereits besprochen, wem seine Ländereien nun zufallen sollen. Es gibt einen sehr fähigen, vertrauenswürdigen Edelmann, den Grafen von Leicester, der sicher bereit wäre, die schwere Verantwortung auf sich zu nehmen, wenn ich ihm dies nahelege. Wir können uns darauf verlassen, dass er die Ketzerei hierzulande ausrotten wird. «
Adelind fuhr auf. Ein Wutschrei steckte in ihrer Kehle, doch zwang die Vernunft sie, still zu bleiben. Hilflos sah sie ihre Gefährten an, doch vermochten außer ihr wohl nur Samuel und Hildegard das Gespräch zu verstehen. Der junge Jude war in Schwermut versunken und hatte sich an Mabilegelehnt. Hildegard saß stumm in einer Ecke, wahrscheinlich zu weit von der Tür entfernt, um lauschen zu können.
» Simon de Montfort, Graf von Leicester, will neue Besitztümer, weil er als zweitgeborener Sohn nur wenige Ländereien erbte. Doch dies ist kein Eroberungskrieg. Es scheint mir nicht recht, den Vescomte
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