Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Falltür über ihnen wieder zugeschoben hatte. Die Welt bestand nur noch aus ihren rasselnden Atemzügen.
» Ich kann nicht mit euch gehen. Ich muss zu meiner Schwester « , sagte Adelind mit Nachdruck, als Peyres ihren Mund endlich frei gegeben hatte. Sie tastete in der Finsternis nach dem Holz der Falltür.
» Du kannst sie nicht retten « , mahnte er. » Vielleicht schafft sie es, irgendwie zu entkommen. Wenn sie verhaftet wird, kann sie immer noch abschwören. Ich glaube, das wird sie tun. Sie ist nicht so stark wie Rosa. «
Adelind schnaubte.
» Du verachtest sie, weil sie dich verleumdet hat. Aber du kennst sie nicht. Sie ist sehr stark auf ihre Art und störrisch. Sie wird nicht abschwören. Ich kann sie nicht allein sterben lassen. «
Ihre Hände glitten über kalten Stein, dann konnte sie endlich weicheres Holz spüren. Sie drückte dagegen, aber die Falltür gab nicht nach.
» Willst du denn mit ihr sterben, nur weil sie es so möchte? « , fragte Peyres. Adelind vermochte nicht zu antworten. Sie wusste nur, dass Hildegard sie jetzt brauchte.
» Ich will sie finden. Vielleicht kann ich ihr helfen zu fliehen. «
» Das kannst du nicht « , entgegnete er unerbittlich. » Ohne meine Hilfe würdet ihr alle noch in dem Verlies sitzen. «
» Er hat recht, Dòna « , warf Olivette zaghaft ein. » Vielleicht ist all dies Gottes Wille. «
Adelind lehnte sich gegen die steinerne Mauer. Nach ein paar Atemzügen vermochte sie etwas klarer zu denken.
» Ich kann jetzt nicht einfach davonlaufen und Hildegard ihrem Schicksal überlassen. Das würde ich mir niemals verzeihen. «
Peyres atmete ebenfalls laut, dann stemmte er sich gegen die Falltür und ließ einen Hauch von Licht in den Gang dringen.
» Nun gut, dann gehe ich zurück. Vielleicht kann ich sie nochmals aus dem Verlies holen. Versucht, durch den Gang zu kommen. Wenn wir Glück haben, ist der Ausgang nicht zugeschüttet. Wartet dann draußen auf mich. Andernfalls müsst ihr wieder zurückkommen, und wir treffen uns hier. «
Er war verschwunden, bevor Adelind etwas erwidern konnte. Die Falltür fiel wieder zu, und es wurde stockdunkel.
» Wir müssen tun, was er gesagt hat « , hörte sie Olivettes Stimme und wurde am Gewand gezogen. Sie hätte Esclarmondes schüchterner Tochter niemals so viel Entschlossenheit zugetraut. Gemeinsam tasteten sie sich vorwärts, stolperten über Steine und stießen sich immer wieder am Gemäuer. Adelind begann zu ahnen, wie Ursannes Leben im ewigen Dunkel ausgesehen haben musste, aber allmählich entwickelte sie etwas Geschick im blinden Tapsen. Der Gang wurde zunehmend enger, sodass sie auf allen vieren kriechen mussten, wie Mabile berichtet hatte. Adelind fragte sich, ob nicht am Ende ein Haufen von Geröll auf sie wartete. Falls Nicolas den Ausgang wirklich zugeschüttet hatte, war all diese Mühe umsonst, und ihnen stand ein ebenso beschwerlicher Rückweg bevor.
Dann sah sie Licht. Es schimmerte zunächst nur, wurde allmählich zu einem Strahl, der ihre Augen blendete. Endlich konnte sie Olivettes schmächtigen Körper wieder sehen. Ihre socia schob Zweige zur Seite, stemmte sich dann mühsam durch eine Öffnung, um Adelind bald darauf einen hilfreichen Arm entgegenzustrecken.
Draußen war es bereits hell. Adelind blinzelte, denn das Licht schmerzte in ihren an die Finsternis gewöhnten Augen. Die Sonne wärmte ihre geschundenen Glieder, und hohe, kräftige Bäume verhießen Schutz. Sie befanden sich in einem Wald außerhalb der Stadtmauern, begriff Adelind und fühlte, wie ihr Freudentränen über die Wangen liefen. Sie hatte so lange davon geträumt, wieder auf freiem Gelände zu sein, weder Wände zu sehen, noch den Gestank von Fäulnis und Unrat einatmen zu müssen.
» Mabile hat erzählt, dass hier in der Nähe eine Quelle ist. Ich glaube, ich kann sie hören « , sagte Olivette und entfernte sich hastig. Adelind blieb neben dem Ausgang sitzen und kroch dann noch ein Stück weiter, bis der Wald aufhörte. Eine sonnenbeschienene Wiese lag vor ihr, doch konnte sie nirgends die Spuren menschlicher Gegenwart entdecken. Was war mit Nicolas und all den anderen Leuten, die mit ihm geflohen waren? Sie mussten bereits weitergezogen sein und sich so weit wie möglich von den Belagerern Carcassonas entfernt haben. Adelind legte sich auf das trockene Gras. Sein Geruch war so sauber, frei von Exkrementen und Blut. Sie sah zum Himmel hoch, und ihre Lider wurden schwer.
Sie war frei. Sie lebte. Vielleicht würde bald
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