Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
leider keine Möglichkeit, in eine Seitengasse auszuweichen. Sie würden an den Männern vorbeigehen müssen und konnten nur hoffen, dass deren Bedürfnisse bereits zur Genüge gestillt waren. Sie straffte die Schultern, sah, wie Peyres sich an ihr und Olivette vorbeidrängte, um wieder die Führung zu übernehmen. Als die Männer näher kamen, presste er sich an eine Hauswand, um ihnen den Weg frei zu machen. Rasch folgte sie seinem Beispiel und sah erleichtert, dass ihre sociae es ebenfalls taten. Der Anführer trug eine Fackel, die er kurz auf Peyres’ Gesicht richtete.
» Der Spielmann « , stellte er staunend fest.
» Ich bringe ein paar Huren zurück, die auf der Grafenburg waren « , wiederholte Peyres seine Lüge. Der Anführer nickte. Adelinds Herzschlag setzte aus, denn sie erkannte in seinem jungen, glatten Gesicht jenen Mann, der sie gemeinsam mit Gaston bewacht hatte. Vermutlich befand auch Gaston selbst sich unter diesen Männern, war nur zu betrunken, um sich in den Vordergrund zu drängen, wie es sonst seine Art war. Sie senkte den Blick, sehnte sich nach einem Schleier, hinter dem sie ihr Gesicht hätte verstecken können. Aber die Männer achteten kaum auf sie, denn ihr Verlangen nach Huren schien tatsächlich gesättigt. Nacheinander trotteten sie alle vorbei. Obwohl an einigen Gürteln Schwerter hingen, machten ihre Besitzer nicht den Eindruck, nach ihnen greifen zu wollen, sondern hatten es eilig, in die Grafenburg zurückzukommen, die sie vielleicht gar nicht hätten verlassen dürfen. Adelind schöpfte Hoffnung, als sie sah, wie Peyres einen ersten zögernden Schritt vorwärts tat.
Dann hörte sie eine helle Männerstimme.
» Das blonde Mädchen. Die sah doch aus wie eines von den Ketzerweibern! «
Die anderen Männer torkelten brummend weiter, doch der Anführer stieß sie zur Seite, um zurückzukommen. Ein Kurzschwert blitzte in seiner Hand auf. Peyres rannte los, zog Adelind hinter sich her, deren Finger die Olivettes umklammert hielten. Sie vernahm Getrappel im Hintergrund und wandte schnell den Kopf. Auch Hildegard lief, aber in die entgegengesetzte Richtung. Sie hatte beide Arme ausgebreitet, und ihr Blondhaar glitt schimmernd durch die mondbeschienene Nacht, sodass sie an eine verwunschene Seele erinnerte, die nach dem Tod keine Ruhe gefunden hatte und nachts als bleiche Gestalt durch finstere Gassen schlich.
» Mein Glaube ist so stark wie die Wurzeln eines riesigen Baumes, die ihr nicht der Erde entreißen könnt! « , wiederholte sie aus Leibeskräften schreiend die Worte der sterbenden Rosa, während sie kurz vor den Männern, die teils noch fassungslos starrten, teils aber schon die Arme nach ihr ausstreckten, wie ein flinker Hase einen Haken schlug und in einer winzigen dunklen Gasse verschwand.
» Los! Wir müssen sie fangen! « , rief der junge Mann und setzte ihr sogleich hinterher. Er schien eine angeborene Autorität zu besitzen, denn seine Gefährten folgten ihm ohne Zögern, sodass sie nacheinander alle aus Adelinds Blickfeld verschwanden.
» Hildegard! « , flüsterte sie zunächst, um dann immer lauter nach ihrer Schwester zu rufen. Schließlich wollte sie losrennen, um sich auf die Spur der Männer zu machen, doch Peyres presste seine Hand vor ihren Mund.
» Hör auf zu schreien, sonst verfolgen sie bald auch uns! « Adelind musste einsehen, dass er recht hatte, doch war der Drang, Hildegard zu folgen, übermächtig. Sie zappelte und trat um sich, während Peyres sie erbarmungslos festhielt.
» Sei vernünftig! Wir können ihr jetzt nicht helfen und müssen uns erst einmal verstecken. «
Adelind wurde fortgezerrt. Sie wehrte sich zunächst, gab es später auf, denn nach der Zeit im Verlies waren ihre Körperkräfte zu ausgelaugt, um Peyres’ Widerstand zu leisten. In ihrem Kopf war nichts als Angst und Schmerz, die ihren Verstand lähmten. Sobald Peyres und Olivette in Sicherheit waren, musste sie allein nach Hildegard suchen, die nicht in der Lage war, mit einem Arnaud Amaury umzugehen.
Sie wurde in ein halb verfallenes Lagerhaus an der Stadtmauer geschleppt. Dort räumte Olivette rasch ein paar Kisten zur Seite, fegte Stroh vom Boden und hob schließlich ein paar Holzplanken, die darunter verborgen waren.
» Hier beginnt der Gang « , flüsterte sie und eilte ein paar Stufen hinab. Adelind setzte zum Reden an, doch zerrte Peyres sie unerbittlich weiter. Dunkelheit tat sich auf, verschluckte sie alle wie der Rachen eines Dämons, nachdem Peyres die
Weitere Kostenlose Bücher