Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
obwohl die Äbtissin sich fast sicher war. Er sah nicht aus wie ein Mann, der lügt, und wir haben ihm klargemacht, welche Schwierigkeiten er bekommen könnte. «
» Und wenn er sie dennoch versteckt? Sollte der Propst nicht das Haus durchsuchen lassen? «
» Das käme nicht gut an. Er ist ein angesehener, frommer Bürger, der unserem Orden regelmäßig Geld spendet, damit wir für die Seele seiner verstorbenen Frau beten. Für den Fall, dass die kleine Ausreißerin dennoch dort auftaucht, habe ich ein paar Dienern eine saftige Belohnung versprochen… «
Adelind hörte ihren eigenen Herzschlag, während ihr Tränen der Verzweiflung in die Augen schossen. Dieses Haus, in dem sie sich wenigstens für kurze Zeit Geborgenheit und Schutz erhofft hatte, wäre nichts weiter als eine Falle.
» Wir können dort nicht hin. Wir müssen weg « , zischte sie Hildegard zu und zerrte sie kurz in die entgegengesetzte Richtung, um dann in einer kleinen Seitengasse unterzutauchen. Johann, der Bettlerjunge, trabte stumm hinter ihnen her.
» Aber wohin gehen wir dann, Adelind? Hätten wir nicht besser gleich in der Hütte… «
Adelind packte Hildegard an der Schulter und schüttelte sie.
» Du weißt doch, was sie dort früher oder später mit uns gemacht hätten. «
Hildegard blickte sie aus großen dunklen Augen an.
» Und du meinst, woanders macht man das nicht mit uns? «
Die Worte legten sich wie schwere Gewichte auf Adelinds Schultern. Manchmal vermochte ihre weltfremde Schwester die Wahrheit so viel schneller zu erfassen. Sie tat ein paar Atemzüge und dachte nach.
» Hör zu « , sagte sie erschöpft. » Vielleicht sollte ich freiwillig ins Kloster zurückgehen. Dann kannst du zu Brigittas Schwager, denn nach dir wird nicht gesucht. «
Es tat weh, als Hildegards Augen sich mit Tränen füllten.
» Dann gehe « , flüsterte sie. » Aber ich werde in die Hütte der Bettler zurückkehren. Dann bin ich in deiner Nähe, solange ich noch lebe. «
Adelind bekämpfte mühsam den Wunsch, dem zarten, lieblichen Gesicht ihrer Schwester eine Ohrfeige zu verpassen.
» Das tust du nicht, verdammt! Du darfst dich nicht immer so einfach ergeben wie bei Vater Severinus. Wenn du in dieser Welt zurechtkommen willst, dann musst du lernen, dich zu wehren und zu kämpfen. «
Hildegard lächelte sanft.
» Du weißt, dass ich es nicht kann. Gott der Herr hat mich so geschaffen, wie ich bin. Überlass mich meinem Schicksal, denn das ist sein Wille. Für dich bin ich nur eine Last. «
Adelind drückte den schmächtigen Körper mit einem Schluchzer an sich. Eine Weile standen sie stumm da und hielten einander nur fest, dann verspürte Adelind ein Zupfen an dem hinteren Zipfel ihrer Decke.
» Die Damen müssen sich verstecken, nicht wahr? Johann weiß, wo sie unterkommen können. Ein Ort, an den kein Pfaffe sich verirrt. «
Der Junge zeigte mit einem stolzen Lächeln ein paar Zahnstummel.
» Na gut, dann bring uns hin « , entgegnete Adelind. Vielleicht hatte Gott der Herr ihnen ebendiesen kleinen Bettler geschickt.
Hier wurden die Gassen nicht mehr von bunt bemalten Häusern, sondern von verfallenen Holzhütten eingesäumt. Der Schlamm war manchmal tief wie ein Bach, und er stank so erbärmlich, dass Adelind jeder Atemzug zur Qual wurde. Ausgemergelte Gestalten schleppten sich an ihnen vorbei, starrten ihnen mit unverhohlener Neugier ins Gesicht und brachen manchmal aus unerklärlichen Gründen in Gelächter aus. Einmal wurde Adelind gar am Ärmel gepackt und musste sich anzügliche Bemerkungen anhören. Sie erschrak, dass sie in der Lage war, einem am Boden liegenden Bettler Fußtritte zu versetzen, doch konnte sie sich nur dadurch aus seinem Griff befreien, der ihr den Strumpf hinunterziehen wollte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit blieb der kleine Johann vor einem Haus stehen. Es ragte neben den elenden Hütten in dieser Gegend stolz in die Höhe, sah aber ansonsten wenig einladend aus, da die einzige Zierde der Fassade aus Schmutzflecken bestand. An zwei winzigen Fensteröffnungen hingen zerfetzte Tücher, die wohl kaum die Kälte aussperren konnten. Vor der Eingangstür lag ein Hundekadaver mit aufgerissenem Magen. Ratten hatten an ihm genagt, überlegte Adelind. Vielleicht nicht nur Ratten. Von dem Gestank wurde ihr speiübel.
» Dort sollen wir wohnen? « , wandte sie sich an den Jungen.
» Dort könnt ihr wohnen, wenn ihr euch die Miete verdient « , kam es sogleich zurück. Etwas blitzte in den müden Augen. Freude.
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