Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
in Anspruch nahm und daher länger schlief, aber es fehlten auch Peyres und die beiden anderen Männer. Vielleicht besprach sie sich weiter mit ihnen. Die Mädchen verschlangen hastig Brot und die übliche Gemüsebrühe. Dann begannen sie, sich im Haus zu verteilen, gemäß einer klar bestimmten Ordnung, die alle zu kennen schienen. Marcia saß missmutig weiter vor ihrem Speisebrett, kaute an einer Brotscheibe und unterdrückte ein Gähnen. Ihr schien es hier nicht besonders zu gefallen. Hildegard hingegen blickte den davoneilenden Mädchen mit leuchtenden Augen hinterher.
» Können wir irgendwie helfen? « , rief sie und erhielt einen vernichtenden Blick von Marcia. Biatris, die in Abwesenheit der Gräfin wohl das Sagen hatte, drehte sich um und lächelte zufrieden.
» Natürlich könnt ihr das. Wir fertigen gerade Gewänder für Arme und Waisen an, da können wir jede Hilfe gebrauchen. «
Hildegard sprang sogleich auf. Adelind folgte ihrem Beispiel. Wieder fühlte sie sich an ihr Leben im Kloster erinnert, doch war es besser, sich zu beschäftigen, als tatenlos herumzusitzen. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass auch Marcia sich langsam erhob, ihre Glieder wie eine müde Katze streckte und dann gelangweilt hinterhertrottete.
In einem kleinen Zimmer saßen sie zusammen mit fünf anderen Mädchen und nähten Kittel aus braunem Leinen. Die Arbeit war weitaus einfacher als das Anfertigen von Altartüchern, doch Adelind hatte niemals viel Vergnügen am Nähen finden können. Hildegard hingegen beugte sich eifrig über ihren Stoff. Marcia tat immer wieder ein paar Stiche, gähnte dann und starrte durchs offene Fenster. Als Biatris um die hora tertia meinte, nun wäre Hilfe beim Zubereiten des Mittagsmahls nötig, bot Adelind sich sogleich an, denn sie sehnte sich nach Abwechslung.
Hildegard blieb bei den Näherinnen. Auch die anderen Mädchen zeigten wenig Begeisterung am Kochen. Ganz hatten sie den Standesdünkel wohl nicht abgelegt, erwog Adelind, denn während das Nähen sich auch für adelige Damen geziemte, war die Arbeit in der Küche Aufgabe von Mägden. Sie stand neben Biatris, wusch Karotten, Lauch und Gurken in einem Eimer, um sie anschließend in feine Scheiben zu schneiden.
» Hier wird niemals Fleisch gegessen « , stellte sie fest und wandte sich der kleinen Biatris zu, die zu ihr aufblickte. Wieder wurde sie von den braunen, goldgesprenkelten Augen an Peyres erinnert. Sie spürte ein sehnsüchtiges Ziehen im Unterleib.
» Natürlich nicht « , erwiderte Biatris, in deren Fingern das Messer weiter schnitt, als wäre es ein unabhängiges Wesen.
» Der Genuss von Fleisch weckt sündhaftes Verlangen nach Fleischeslust. Wir vermeiden es auch, Eier, Milch und Käse zu essen. Fisch hingegen ist erlaubt, denn Fische entstehen einfach im Wasser ohne den sündigen Akt der Fortpflanzung « , erklärte sie. » Und zudem ist es ein Verbrechen, Tiere zu töten, da sie ebenfalls Seelen haben. «
Adelinds Messer erstarrte. Da also war es, das fremde, andere Denken.
» Der Mensch steht über dem Tier. Gott hat ihn nach seinem Ebenbild geschaffen. So steht es im Alten Testament. Wie soll ein Tier eine menschliche Seele haben? «
» Hast du das Alte Testament gelesen? « , fragte Biatris nur. Adelind nickte.
» Aber hast du denn nicht begriffen, dass es nicht die wahre Botschaft Gottes enthält? Es geht dort nicht um Liebe, sondern um Strafe und Vergeltung. Es ist eine Botschaft Satans. «
Das Messer entglitt Adelinds Hand, während sie im Geiste das entsetzte Gesicht von Mutter Mechtildis vor sich sah.
» Das also glaubt ihr? « , murmelte sie fassungslos. Biatris legte nun auch ihr Messer zur Seite. Vorsichtig hob sie die Hand, um sie auf Adelinds Schulter zu legen.
» Ich will dich nicht erschrecken. Vieles an unserem Denken muss völlig neu für dich sein. Aber du willst an unserer Gemeinschaft teilhaben und scheust keine einfache Arbeit. Das gefällt mir. «
Sie griff wieder nach dem Messer und schnitt emsig weiter. Adelind folgte diesem Beispiel. Tief in ihrem Inneren freute sie sich über das Lob.
» Wir können hier kluge Frauen brauchen. Wenn du die Bibel lesen kannst, dann könntest du jene Mädchen unterrichten, die sich für den reinen Weg entschieden haben und die Botschaft des Herrn verkünden wollen. Aber es liegt bei dir. Deine Schwester, so scheint es mir, hat sich bereits entschieden. «
Adelind konnte dem nichts entgegenhalten. Antonius hatte verloren, das wusste sie, auch wenn sie ihn in
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