Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
entscheiden, welche Frau er will « , sagte sie nur. Biatris widersprach nicht.
» Ich wollte nur, dass du ihn besser verstehen kannst « , meinte sie, während sie aufstand, um wieder ins Haus zu gehen.
Der Tag begann früh mit gemeinsamer Arbeit, denn anders als im Kloster gab es hier keine Konversschwestern, denen niedere Aufgaben überlassen wurden. Selbst ein Mädchen aus wohlhabendem Elternhaus wie Alazais hatte in der Küche und gar beim Säubern der Latrinen mitzuhelfen, wie Biatris erklärte. Zur hora tertia fand Unterricht im Lesen und Schreiben statt, der wieder für alle verpflichtend war und von Rosa durchgeführt wurde. Hildegard und Adelind saßen still im Hintergrund, ohne darauf hinzuweisen, dass sie hier nichts Neues erfuhren, denn dies hätte Rosa vielleicht gekränkt. Danach wurde ein gemeinsames Gebet gesprochen, bevor die Mädchen sich verteilten, um das Mittagsmahl vorzubereiten und die Räume zu säubern. Vier von ihnen aber blieben im Unterrichtszimmer zurück. Laut Biatris waren es Auserwählte, die sich ganz dem Glauben verpflichtet hatten und nicht in ihr Elternhaus zurückkehren würden, sondern eine Art Weihe erhalten wollten, um den Rest ihres Lebens in einem Haus wie diesem zu verbringen. Adelind bat aus Neugier, auch an diesen Stunden teilnehmen zu dürfen, was ihr gewährt wurde. Rosa lehrte nun Latein. Ihre Kenntnis der Sprache beschränkte sich auf ein paar Worte und Sätze aus dem Neuen Testament, die auswendig aufgesagt werden mussten. Adelind überkam der Wunsch, sich einbringen zu dürfen, Aufbau und Struktur des Lateinischen zu erklären, doch hätte sie wohl dieser eigenwilligen, frommen Gemeinschaft beitreten müssen, um hier unterrichten zu dürfen.
Anschließend ging es in das große Zimmer zum Mittagsmahl. Hildegard kam plaudernd mit den anderen Mädchen hereingeeilt. Ihre Wangen waren gerötet, und sie hatte Schmutzflecken an den Händen, die sie in einer Wasserschale auf dem Tisch reinigte.
» Deine Schwester ist sehr fleißig gewesen « , lobte Biatris. Adelind musterte Hildegard verwirrt, als stünde eine unbekannte Person vor ihr. Wo war ihre Ungeschicklichkeit geblieben, die sie beim Verrichten der einfachsten Hausarbeiten stets hatte versagen lassen? Nun leuchteten ihre Augen vor Stolz, als sie erzählte, wie sie Töpfe geschrubbt und Gemüse zerschnitten hatte. Adelind rieb sich die Schläfen. Dieser Ort veränderte ihre Schwester, als sei sie ein Fisch, der nun endlich ein Gewässer gefunden hatte, in dem er frei schwimmen konnte.
Nach dem Mittagsmahl hielt Antonius Hildegard kurz auf und fragte, ob sie ihm dabei helfen würde, den Zahn eines alten Bauern im Dorf zu ziehen. Hildegard zögerte einen winzigen Augenblick, dann folgte sie ihm nach draußen. Adelind wartete mit einer gewissen Anspannung, denn ihre Schwester blieb sehr lange fort, und sie ahnte, dass Antonius eine Aussprache mit ihr gesucht hatte. Vor dem Abendmahl erhielt Adelind die Möglichkeit, sich eine Weile auszuruhen, während die anderen Frauen sich zu einem Gebet versammelten, an dem teilzunehmen sie nicht gedrängt wurde. So lag sie auf ihrem Bett, lauschte dem allmählich verstummenden Gesang der Vögel und atmete frische Abendluft ein. Das kleine Dorf in den Bergen hatte seine Reize, auch wenn sie sich tief in ihrem Inneren nach der bunten Pracht von Städten wie Genf und hauptsächlich Monpeslier sehnte.
Hildegard kam herein, nachdem der Himmel sich bereits grau zu färben begann. Adelind ergriff die Feuersteine, um für etwas Helligkeit zu sorgen. Dank der aufflammenden Funken erkannte sie, wie bleich das Gesicht ihrer Schwester war, die sich die rot geweinten Augen rieb. Adelind blies auf den Zunder, um die Flammen hochschießen zu lassen, dann zündete sie die Talgkerze an. Hildegard warf sich stumm auf die Matratze. Wieder rollte sie sich zu einem Ball zusammen, und ein leichtes Beben durchfuhr ihren Körper. Adelind streckte hilflos die Hand nach ihr aus.
» Du hattest eine Auseinandersetzung mit Antonius. Du hast sein Angebot abgelehnt, weil du hier bei diesen Frauen leben möchtest « , stellte sie leise fest. Hildegard schluchzte auf.
» Ich sprach mit ihm, und er verstand, obwohl er sehr traurig war « , stieß sie haspelnd hervor. » Aber dann… dann kam dieser Peyres hinzu. Er brauchte Antonius wohl nur anzusehen, um zu wissen, was geschehen war. Da schrie er mich an, nannte mich herzlos und feige. Weil Gott die Liebe nicht verdamme und weil es wider alles menschliche
Weitere Kostenlose Bücher