Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
ihrem Herzen bedauerte.
» Oder möchtest du mit meinem Bruder weiterziehen? «
Die Frage wurde rasch und möglichst beifällig ausgesprochen, doch verlor Biatris für einen Moment die Kontrolle über ihr Messer. Feine Blutstropfen perlten aus einer winzigen Wunde an ihrem Zeigefinger.
Adelind vermochte nicht weiterzuschneiden. Kurz flatterte ihr Herzschlag, dann beruhigte er sich wieder.
» Du warst auch einmal Spielfrau, hat man mir erzählt « , lenkte sie rasch vom Thema ab. Biatris legte das Messer auf den Tisch.
» Ich habe nicht gesungen und getanzt, denn dazu fehlte mir die Begabung « , sagte sie mit einem plötzlichen Funkeln in ihren stets so ernsten Augen. » Doch ich konnte andere Dinge. «
Sie beugte sich rückwärts, bis ihre Fingerspitzen den Boden berührten. Adelind stockte der Atem, denn sie war überzeugt, dass ein menschlicher Körper an dieser widernatürlichen Verrenkung zerbrechen musste, aber Biatris bog sich wie ein Grashalm im Wind. Dann setzten ihre Füße sich schwungvoll vom Boden ab, flogen durch die Luft, um sie kurz einen Handstand machen zu lassen, doch bevor das Gewand zu ihren Hüften hinabrutschen konnte, waren ihre Fußsohlen bereits vor ihrem Gesicht wieder auf dem Boden gelandet. Sie richtete sich auf, mit leicht geröteten Wangen, die sie plötzlich sehr jung und frisch wirken ließen. Im Hintergrund vernahm Adelind das staunende Murmeln der anderen Mädchen.
» Das ist unglaublich « , sagte sie anerkennend. » Wie hast du das gelernt? «
» Ach, nichts als Übung. Aber man muss jung sein, wenn man anfängt. Später werden die Glieder steif. «
Sie rieb sich kurz den Rücken, der unter der inzwischen ungewohnten Anstrengung wohl gelitten hatte.
» Wir brauchen etwas Rosmarin und Thymian, um das Mahl zu würzen « , meinte sie dann zu Adelind. » Lass uns kurz nach draußen gehen. «
Ohne auf Zustimmung zu warten, ergriff sie Adelinds Arm und zog sie in den Vorhof des Hauses, wo ein kleiner Gemüse- und Kräutergarten angelegt war. Biatris zupfte ein paar Blätter von Sträuchern, die sie in einen kleinen Sack steckte. Sie schien keine Hilfe von Adelind zu erwarten, da sie ihr keinerlei Anweisungen gab, sondern sie bald schon auf eine Holzbank am Rande des Gartens zog.
» Ich würde gern ein bisschen mit dir plaudern « , begann sie. » Mein Bruder hat gestern Abend, als wir endlich in Ruhe reden konnten, sehr viel von dir gesprochen. «
Adelind schämte sich, weil ihr trommelnder Herzschlag sie nun mit Sicherheit erröten ließ. Zum Glück hatte Biatris ihren Blick auf die wuchernden Kräuterbüsche gerichtet, als sei auch ihr dieses Gespräch ein wenig unangenehm.
» Du sollst wissen, dass ich mir für meinen Bruder aus tiefstem Herzen eine vernünftige, kluge Frau wie dich wünschen würde « , sagte sie seufzend.
Adelind wurde unruhig. Sollte Peyres nicht selbst eine Entscheidung treffen, bevor sie nach ihrer Zustimmung gefragt wurde?
» Mir scheint, dass Marcia viel besser zu ihm passt. Sie ist eine hervorragende Spielfrau. Ich wurde in einem Kloster erzogen und kann ein paar Hymnen singen, mehr nicht. «
» Diese Hymnen singst du angeblich sehr gut « , entgegnete Biatris. » Marcia hat dieselben Dämonen im Leib wie mein Bruder. Sie tun einander nicht gut. «
Adelind geriet ins Grübeln, denn ganz Unrecht hatte Biatris nicht. Aber vielleicht war jene stürmische, von stetem Kampf bestimmte Leidenschaft eben die richtige Art von Liebe für zwei Spielleute.
» Ich weiß, Peyres redet nicht gern über seine Vergangenheit « , begann Biatris zu erzählen. » Aber du sollst es trotzdem wissen, um ihn zu verstehen. Unsere Mutter stammte aus Dun. Sie war das Kind einfacher Bauern, hätte einen ebensolchen Bauern heiraten und ihr Leben in einer der hiesigen Hütten verbringen sollen. Doch sie sehnte sich nach einem anderen, freien, rastlosen Dasein. Mit fünfzehn Jahren begegnete sie meinem Vater, einem Spielmann auf der Durchreise, und lief mit ihm davon. Ein Jahr später wurde ich geboren. An meinen Vater kann ich mich nicht erinnern. Er verschwand eines Abends in Salerno, als ich ungefähr zwei Jahre alt war. Meine Mutter erfuhr niemals, ob er verunglückte oder uns einfach loswerden wollte. Sie trat als Sängerin auf und fand einen weiteren Mann, einen ungläubigen Sarazenen. Er war ein Meister der Heilkunde und kümmerte sich gut um uns. Ich kann das große, helle Haus, in dem ich meine ersten Lebensjahre verbrachte, noch heute vor mir sehen. Ich war
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