Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
irgendwann, dass es noch ein anderes Leben gab, und eben darin ähneln sie gepeinigten Menschen. Ich achte den Wunsch meiner Schwester, sie nicht töten zu wollen. Aber da sie einander auch gegenseitig auffressen, sehe ich keinen Grund, auf Fleisch zu verzichten. «
Wieder hielt er Adelind den Schinken hin. Sie griff zu. Eine Weile kauten sie schweigend.
» Was Eure Frage betrifft « , unterbrach Adelind schließlich die Stille. » Ich werde Euch gern das Lesen lehren. Ihr scheint mir ein kluger Mensch, der es sicher schnell lernen wird. «
Sie hatte völlig ehrlich gesprochen, denn Peyres beeindruckte sie. Im Kloster hatte sie gelernt, dass Musik eine Wissenschaft war, die den rechnenden Künsten zugeordnet wurde, da nur durch richtige Proportionen der Töne Harmonie erzeugt werden konnte. Wer musizierte, ohne diese Gesetze zu kennen, galt als unwissender Stümper, doch hatte Adelind selten so bewegende Musik vernommen wie jene Klänge, die Peyres den Saiten seiner Fiedel entlockte, ohne jemals Boethius’ Theorien der Musik gelesen zu haben. Nun spürte sie den Blick der dunklen, braun gesprenkelten Augen auf sich ruhen und rutschte verunsichert auf dem Baumstamm herum.
» Erhoffe nicht zu viel, Jungfer Adelind. Ich bin nur ein gewöhnlicher Gaukler. Aber ich will gern mit dir als Sängerin durch die Lande ziehen und meine Lieder für dich schreiben, denn du singst wie ein Engel. «
Auf einmal kam Adelind sich tatsächlich wie ein Engel vor, denn das Leben schien so leicht und schön, dass sie Flügel ausstrecken wollte, um durch die duftende Nachtluft zu gleiten.
Peyres hatte die Hand gehoben. Eine Weile ließ er sie in der Luft schweben, dann legte sie sich vorsichtig auf Adelinds Kopf, und Finger fuhren sanft durch ihr Haar, streichelten die Haut darunter. Sie schloss die Augen. Niemand hatte sie jemals auf derart zärtliche Art berührt, und sie konnte kaum fassen, wie wohl es tat. Sie atmete einen herben, aber angenehmen Geruch ein, als das Gesicht von Peyres sich dem ihren näherte. Dann lagen seine Lippen auf ihrem Mund. Kurz zog sie den Kopf zurück, aber die Berührung war zu schön gewesen, sodass sie gleich wieder nach ihr suchte. Ohne Zögern nahm sie seine Zunge auf. Die kleinen Tiere kribbelten wieder in ihrem Körper, ließen sie zucken und aus einer unklaren Sehnsucht heraus nach Peyres greifen. Bald schon lagen sie gemeinsam im Gras, und er berührte Stellen ihres Körpers, die sie selbst nur zaghaft beim Waschen angefasst hatte. Ihr Herz überschlug sich. Das also war es, dieses verbotene Treiben, das sie sich so oft heimlich ausgemalt hatte, ohne es erleben zu dürfen. Sie hörte sich wimmern und stöhnen und meinte, zu einer fremden Person zu werden, die sie noch vor wenigen Tagen verdammt hätte. Peyres’ Hand glitt streichelnd ihre Schenkel entlang, und ihre Beine spreizten sich in der Erwartung von etwas, das ihr Körper zu erahnen schien, obwohl es in ihrem Kopf keine klare Vorstellung davon gab. Erst als er begann, die Verschnürung seiner Bruche zu lösen, erwachte ihr Verstand. Sie könnte niemals guten Gewissens im Haus dieser frommen Frauen bleiben, wenn sie eine solche Grenze überschritt. Und Hildegard würde keinerlei Verständnis zeigen.
Entschlossen schob sie ihn von sich, obwohl ihr Körper vor Sehnsucht schmerzte. Er erstarrte, schnaufte kurz, doch schließlich entspannte sich sein Gesicht.
» Schon gut, ich darf dich nicht wie eine Straßendirne behandeln. Verzeih mir bitte « , murmelte er mit gesenktem Blick und setzte sich auf. Adelind zog den Stoff ihres Gewandes hinab. Tief in ihrem Inneren regte sich der Wunsch, dass Peyres ihren Widerstand auf irgendeine Weise überwunden hätte, aber sie wusste auch, wie unverzeihlich ein solches Verhalten gewesen wäre.
» Wie werden uns Zeit lassen, Jungfer Adelind « , sagte er mit dem üblichen Lächeln. » Lehre mich zunächst das Lesen. Vielleicht darf ich dir eines Tages andere Dinge zeigen, wenn du dir deiner Entscheidung sicher bist. «
Er küsste sie nochmals, diesmal sanfter und ruhiger. Adelind entspannte sich wieder und vermochte diese Zärtlichkeit zu genießen, da keine unmittelbare Gefahr von ihr ausging. Dann gingen sie Hand in Hand zu dem Dorf zurück. Erst als sie vor den bereits geschlossenen Türen der Hütten standen, ließen sie einander wieder los.
» Warte morgen zur Hora nona auf mich im Kräutergarten. Dann beginnen wir mit dem Unterricht im Lesen « , flüsterte Adelind zum Abschied. Peyres nickte
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