Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
leise. » Du sollst drei Paternoster und fünf Ave Maria beten. Und in dich gehen. Du bist nur ein schwaches Weib. Vertraue nicht zu sehr auf dein eigenes Urteil. «
Schnell erteilte er ihr die Absolution, dann verließ sie erleichtert das kleine Zimmer und gesellte sich zu den übrigen Nonnen. Hildegard begrüßte sie mit einem verängstigten Blick. » Alles nicht so schlimm, nur meine Knie tun höllisch weh « , teilte Adelind ihr durch stumme Lippenbewegungen mit. Das blasse Gesicht der Schwester bekam ein wenig Farbe.
» Nun solltest auch du beichten, Hildegard « , meinte Mutter Mechtildis. Die Schwester erstarrte und begann, an ihrer Unterlippe zu nagen. Ihre Füße rutschten ruhelos hin und her, doch ansonsten rührte sie sich nicht.
» Na los, geh schon, sonst wird sie wütend « , deutete Adelind unauffällig. Doch Hildegard blieb stur sitzen. Adelind stupste sie an.
» Du musst. Es geht nicht anders. Mach schon! «
Ganz langsam stand Hildegard auf. Der Blick ihrer großen graublauen Augen war wie ein Hilferuf, als sie in dem Beichtzimmer verschwand.
Beim Mittagsmahl erbrach Hildegard sich erneut. Sie schaffte es diesmal nicht, rechtzeitig zu den Latrinen zu laufen, sondern besudelte den Tisch mit einem gelblichen, übel riechenden Brei. Adelind nahm Mutter Mechtildis’ angewidertes Gesicht zur Kenntnis und schoss in die Höhe.
» Meine Schwester ist krank « , unterbrach sie die Schweigepflicht. » Schwester Brigitta, die Infirmaria, sollte sich um sie kümmern. «
Unter dem Tisch drückte sie Hildegards Hand. Wahrscheinlich war der Hasenbraten von gestern Abend ihr nicht bekommen. Zum Mittagsmahl hatte es nur eine Gemüsebrühe gegeben, die sie allgemein gut vertrug.
Obwohl die Äbtissin verärgert aussah, führte Brigitta Hildegard hinaus. Adelind atmete erleichtert auf. Wenn ihre Schwester die Gelegenheit bekam, sich eine Weile auszuruhen, und kein Fleisch mehr essen musste, würde sie bald schon wieder genesen. So war es bisher immer gewesen. Sie genoss die Mittagsruhe, da sie für eine Weile in die friedliche Wärme ihres Bettes kriechen konnte. Dann verbrachte sie den Rest des Tages mit den üblichen Gebeten, sang noch ein paar Hymnen, womit es ihr stets gelang, wieder das Wohlwollen der Äbtissin zu gewinnen. Kurz vor der Vesper tauchte Schwester Brigitta erneut im Kapitelsaal auf und setzte sich unauffällig neben Adelind, die ein Altartuch mit Stickereien verzierte. Sie legte eine Hand auf das feine Leinen und brachte durch ihr Lächeln Bewunderung zum Ausdruck. Adelind wandte ihr so unauffällig wie möglich den Blick zu. Wie alle Nonnen, die schon lange im Kloster lebten, konnte auch Brigitta Worte durch stumme Lippenbewegungen mitteilen.
» Ich muss mit dir reden. Wegen Hildegard. «
Adelind verspürte Angst, in die sich auch ein wenig Ärger mischte. Ihr Leben wäre weitaus einfacher ohne die ständigen Sorgen um ihre zerbrechliche, schwierige Schwester. Sie hob die Hand zu dem Zeichen, das einen Besuch der Latrine ankündigte, und entfernte sich aus dem Saal. Mit unruhig klopfendem Herzen durchquerte sie einen Gang, der zur Treppe in die Kellerräume führte. Kurz vor den Latrinen drängte sie sich in eine Ecke. Wenn eine der Konversschwestern sie hier herumstehen sah, konnte sie es der Äbtissin melden, und Adelind würde des Müßiggangs bezichtigt werden. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sie schlurfende Schritte wahrnahm. Brigitta hatte beide Hände in der Kukulle verborgen und lief leicht gekrümmt. Es war kalt hier.
» Wir haben nicht viel Zeit « , flüsterte sie Adelind zu. » Mutter Mechtildis ist bereits aufgefallen, dass du sehr lange weg bist. Ich sollte nach dir sehen. «
Adelind nickte.
» Was ist mit Hildegard? Ist sie schwer krank? «
Als Brigitta den Kopf schüttelte, seufzte sie vor Erleichterung.
» Krank würde ich es nicht nennen « , meinte die Infirmaria ausweichend. » Es geht ihr jetzt recht gut. Sie hat fast einen ganzen Topf Brühe gegessen. Aber sie redet so seltsame Dinge, wie schmutzig und schuldig sie ist. Sie hat sich sogar das Gesicht blutig gekratzt. «
Adelind stieß einen ungeduldigen Seufzer aus.
» Leider neigt Hildegard zu solchem Verhalten. Sie hat ein sehr reizbares Naturell. Kannst du ihr nicht irgendwelche Kräuter geben, die sie beruhigen? Du weißt, Mutter Mechtildis mag sie nicht und findet, dass sie sich stets wichtigmachen will. Aber das stimmt nicht, sie kann nicht anders. «
» In diesem Fall « , murmelte Brigitta sehr
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