Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
und strich ihr zaghaft über die Wange. Im Mondlicht erkannte sie das freudige Leuchten seiner Augen, bevor er in einem kleinen angrenzenden Gebäude verschwand, wo wohl die Männer untergebracht waren.
Adelind schwebte die Stufen hinauf. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals in ihrem Leben so glücklich gewesen zu sein. Vorsichtig schob sie die Tür zu ihrer Kammer auf, denn Hildegard schlief vermutlich schon. Die Kerze brannte noch, warf flackerndes Licht auf das Bett, wo eine Gestalt sich sogleich regte.
» Wo warst du so lange? «
Hildegards Stimme war messerscharf. Adelind erstarrte.
» Ich musste einige Dinge mit Peyres besprechen. Ich dachte, Biatris hätte es dir erzählt. «
» Ja, das hat sie. Sie sah sehr zufrieden aus. «
Wieder wurde Hildegard zu einem abweisenden Bündel auf der Matratze. Adelind ließ sich zaghaft an ihrer Seite nieder.
» Er möchte das Lesen und Schreiben lernen, um seine Lieder aufzuzeichnen. Ich will ihm dabei helfen. Daran ist doch nichts Verwerfliches. «
» Aber nein, es ist sehr edelmütig von dir, dich seiner anzunehmen « , entgegnete Hildegard, doch lag ein Hauch von Gift in ihrer Stimme. Adelind streifte Rock und Kittel ab, um sich schlafen zu legen. Zwischen ihren Beinen pochte weiter die plötzlich entfachte Sehnsucht. Sie schämte sich zu sehr, um sich an Hildegards Rücken zu schmiegen, wie sie es von frühester Kindheit an gewohnt war. Die Vorstellung, sie könne die Zuneigung ihrer Schwester auf Dauer verlieren, ließ sie erschauern und löschte alle Glut in ihrem Körper. Nichts, so schien es, wäre ein derartiges Opfer wert, aber sie hoffte, mit der Zeit Hildegards Verständnis zu gewinnen.
In den nächsten Wochen hielt der Frühling endgültig Einzug, ließ die Gebirgslandschaft in frischen Farben erblühen, während auf den Feldern die Ernte heranwuchs. Adelind und Hildegard lernten allmählich alle Mädchen in dem Haus kennen, gewöhnten sich an den Tagesablauf von Arbeit und Unterricht, an gemeinsames Plaudern und an Gebete, an denen sie allmählich teilzunehmen begannen. Es war nicht anders als im Kloster, doch waren die Gräfin, wenn sie im Hause weilte, und Biatris angenehmere Mütter dieser Gemeinschaft aus Schwestern, als es die Äbtissin Mechtildis gewesen war. Hildegards Bauch wölbte sich zunehmend. Sie litt an dieser Veränderung ihres Körpers, die sie öffentlich als Sünderin brandmarkte, doch ging gerade Biatris ganz selbstverständlich damit um und tadelte jedes Mädchen, das leise Scherze machte, sodass es zu keiner Ausgrenzung der Schwangeren kam. Hildegard arbeitete weiter emsig, erwies sich plötzlich als recht geschickte Näherin und lernte, das Gemüse in der Küche flink zu schneiden. Mutter Mechtildis hätte gestaunt, überlegte Adelind, wie viele Talente in dem linkischen, ängstlichen Mädchen schlummerten. Hätte sie auch begriffen, dass es ihr Versagen gewesen war, sie nicht wecken zu können?
Das Osterfest fand bei strahlendem Sonnenschein statt. In der kleinen Dorfkirche versammelten sich die Bauern zur Predigt eines kleinen, runden Pfarrers, doch nahmen die Schutzbefohlenen der Gräfin de Foix nicht daran teil. Adelind hatte in der Zwischenzeit einiges gelernt. Jene seltsamen Häretiker nannten sich Katharer, die Reinen, wie es im Griechischen hieß. Sie hatten ihre eigene Kirche, ihre Priester und ihre Hierarchie. Die Taufe wurde bei ihnen durch Handauflegen vollzogen, doch geschah dies nur bei erwachsenen Menschen, die sich als rein im Glauben erwiesen hatten. Dieses Ritual, Consolament genannt, wurde oft erst an Sterbenden vollzogen, damit ihre Seele endgültig von der Gefangenschaft des Körpers befreit wurde. Daneben gab es für Männer und Frauen die Möglichkeit, Perfachs, Vollkommene, eine Art Priester zu werden, doch waren hierfür langes Fasten und vorbildliche Lebensführung erforderlich. In diesem Haus hatte bisher nur Biatris alle Prüfungen hinter sich gebracht und die Weihe empfangen. Adelind war aufgefallen, dass Rosa grundsätzlich auch auf den Genuss von Eiern, Käse und Milch verzichtete, was nicht alle Mädchen hier taten. Deshalb sah sie vermutlich so mager und blass aus. Selbst den köstlichen Rotwein, der gewöhnlich zum Essen angeboten wurde, lehnte sie stets ab. Adelind musste einige Mühe aufwenden, um Hildegard ein ähnliches Verhalten auszureden, denn es hätte ihr in ihrem Zustand sicher nicht gutgetan.
Sie rechnete es der Gräfin de Foix hoch an, dass es den Bauern von Dun erlaubt war, an der
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