Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
weiter zu überlegen, sah sie Peyres an. Er war das Oberhaupt der Truppe und hatte zu entscheiden. Nach kurzem Zögern räusperte er sich.
» Es mag durchaus der richtige Augenblick sein, um weiterzuziehen. Doch wer will alles mitkommen? «
Er lehnte sich abwartend zurück. Ein heiseres Hüsteln erklang.
» Verzeiht mir, ich bin alt « , gab Simon zögernd zu. » Hier in diesem barmherzigen Haus möchte ich meinen Lebensabend verbringen, wenn es mir vergönnt ist. «
Die Gräfin nickte und schenkte ihm ein zustimmendes Lächeln. Nun ruhten mehrere Augenpaare auf Adelind, die verlegen an ihrer Brotscheibe kaute. Im Geiste sah sie die Farbenpracht Monpesliers, die begeisterten Blicke von Zuschauern, als sie das erste Mal öffentlich gesungen hatte, die nun sonnenbeschienenen Pfade, die sich durch Weinberge, Pinienwälder und in voller Blüte stehende Sträucher schlängelten. Bei klarem Himmel war im Hintergrund manchmal das Bergmassiv der Pyrenäen zu erkennen. Ja, es war an der Zeit, wieder in die weite Welt aufzubrechen und jene Lieder vorzutragen, die sie seit einigen Wochen gemeinsam mit Peyres auf Pergamentrollen schrieb, die ihnen Esclarmonde großzügig zur Verfügung stellte.
Sie hob den Kopf. Peyres’ dunkle Augen hingen an ihrem Gesicht, und sie begriff, dass sie nun jene Entscheidung fällen sollte, auf die er all die Wochen gewartet hatte. Ein heftiges Glücksgefühl zog durch ihren Körper. Er wollte sie an seiner Seite, und das nicht nur für einen Augenblick. Entschlossen streckte sie die Schultern.
» Ich finde, die Wetterverhältnisse sind günstig « , begann sie. » Wir finden mehr Zuschauer und kommen schneller voran. Daher… «
Ein schriller Schrei übertönte ihre letzten Worte. Erschrocken fuhr sie herum und sah, wie Hildegard sich über dem Tisch krümmte, während ihre Hände um ihren bereits unübersehbar schwangeren Bauch geschlungen waren. Rosa, die an ihrer Seite saß, war bereits aufgesprungen und strich ihr sanft über den sittsam verschleierten Kopf.
» Es ist schwer, die Frucht der Sünde in sich zu tragen « , murmelte sie dabei. Adelind zuckte zusammen, denn diese Worte schienen ihr keine Hilfe für eine werdende Mutter, obwohl Rosa durchaus mitfühlend geklungen hatte. Sie eilte an Hildegards Seite, um einen tröstenden Arm um ihre Schulter zu legen. Die Lippen ihrer Schwester waren fest aufeinandergepresst, als wolle sie weitere Schreie unterdrücken, und Schweiß glänzte auf der glatten Stirn. Verstört bemerkte Adelind dunkle Schatten unter den Augen, die sie ängstlich ansahen.
» Geht es wieder? Oder willst du dich hinlegen? «
Hildegard schüttelte den Kopf.
» Aber nein, das nicht. «
Sie richtete sich tapfer auf, doch lag ein gequälter Zug um ihren Mund.
» Ich habe manchmal starke Schmerzen « , flüsterte sie Adelind auf Deutsch zu. » Und solche Angst vor dem, was mir bevorsteht. «
Adelind drückte ihre Hand, die schweißnass war.
» Ich bleibe natürlich bei dir, mach dir keine Sorgen « , versprach sie ohne Zögern, denn mit einem Mal war ihr, als bissen heftige Krämpfe in ihre eigenen Eingeweide.
» Leider kann ich nicht sogleich mit euch aufbrechen « , wandte sie sich an Antonius, Marcia und auch Peyres. » Bis meine Schwester ihr Kind geboren hat, werde ich sie nicht alleinlassen. «
Marcia verzog das Gesicht, als sei sie von Zahnwürmern geplagt. Ihre Lippen formten leise Worte, die Adelind nur aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung im Kloster entziffern konnte. Kleines Miststück. Sie verstand nicht, wer damit gemeint war.
» Nun, dann müssen wir ohne dich losziehen, denn so lange können wir hier nicht bleiben « , hörte sie Peyres sagen und gab sich verzweifelte Mühe, ihre Enttäuschung hinter einer gefassten Miene zu verbergen. Sie vernahm Schritte in ihrem Rücken, spürte die Nähe seiner Gestalt, noch bevor sie sich umgedreht hatte.
» Wir kommen zur Erntezeit zurück « , versprach er mit todernster Miene. » Dann kannst du mit uns ziehen, Jungfer Adelind. «
Ihr wurde leichter ums Herz. Als sie ihn ansah, fürchtete sie, ihr Gesicht würde endgültig zum Spiegel ihrer Seele, doch schenkten die meisten der Versammelten ihnen beiden nicht viel Beachtung. Rosa redete mit Alazais, die Gräfin lauschte dem Prediger, und Antonius versuchte mit sichtlich betrübter Miene, Simon dennoch zum Mitkommen zu überreden. Allein Marcia musterte Adelind leicht prüfend, als sei sie eine Ware, deren Wert gewogen werden müsste. Und
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