Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
alten Kirche festzuhalten, wenn sie es wollten. Dennoch erschienen viele von ihnen freiwillig zu der Predigt eines schwarz gekleideten, bärtigen Mannes namens Guillaume Clergue, der in der Begleitung Esclarmondes gekommen war, verneigten sich alle dreimal ehrfurchtsvoll vor ihm und auch vor Biatris, während die Gräfin solche Huldigungen zurückwies. Guillaume Clergue verteilte daraufhin einen Brotlaib an alle Leute an der Tafel und las ihnen aus einer lateinischen Schrift vor, der Interrogatio Johannis, die einen Grundstein des katharischen Glaubens bildete. Adelind hatte bereits einige Blicke darauf werfen können, denn gerade Rosa schien sehr erpicht, sie für ihre Sache zu gewinnen. Laut dieser Schrift war die Erde von Satan geschaffen worden und Jesus nicht Sohn Gottes, sondern eine himmlische Lichtgestalt, die Gott geschickt hatte, um die Menschen aus der Gefangenschaft Satans zu befreien. Sie störte sich inzwischen nicht mehr an Aussagen, die so völlig dem widersprachen, was sie einst gelehrt worden war, doch fiel es ihr schwer, diese rigide Ablehnung alles Weltlichen anzunehmen. Schwerer als zu ihrer Zeit im Kloster, denn seit sie dieses verlassen hatte, war die Welt plötzlich zu vielseitig und schillernd schön geworden, um ihr einfach nur teuflisch zu scheinen. Allerdings weckten die Güte und Großzügigkeit all der Katharer, die sie bisher kennengelernt hatte, ihre Anerkennung. Vermutlich war dies auch der Grund, warum es so viele Anhänger gab, die zwar heirateten, Kinder zeugten und auch Fleisch aßen, sich aber dennoch zu dieser Kirche bekannten. Credentes, Gläubige, wurden sie genannt. Nun saßen sie alle hier am Tisch, Männer und Frauen streng getrennt, und beteten. Adelind versuchte sich auf das Paternoster zu konzentrieren, doch schweifte ihr Blick immer wieder eigensinnig durch die Runde. Die Gräfin thronte wie gewohnt als Oberhaupt am Ende der Tafel, denn selbst ihre schlichte Aufmachung vermochte sie nicht unscheinbar werden zu lassen. Zu ihrer rechten Seite saß der Prediger, zur linken Biatris. Nach Biatris waren alle anderen Mädchen aufgereiht. Marcia hatte zwar pflichtbewusst die Hände gefaltet, aber ihre Augen waren halb geschlossen, und manchmal zuckten ihre Lippen. Wo auch immer sie in Gedanken weilte, dieser Ort hier war es nicht. Rosas Gesicht war ernst wie stets, Alazais sagte pflichtbewusst Worte auf, deren Sinn sie vermutlich nicht begriff, und Hildegard strahlte. Auf der anderen Seite saßen Peyres, Simon und Antonius unter den Männern aus dem Dorf. Simons Husten war fast gänzlich verschwunden. Ihm tat der Aufenthalt hier sichtlich wohl. Antonius wirkte nicht mehr so betrübt wie nach Hildegards Zurückweisung, aber er vermied es weiterhin, die schöne Schwangere anzusehen. Peyres betete scheinbar aufmerksam, wenn auch ohne glühende Hingabe. Kurz traf sein Blick den Adelinds, und sie schenkte ihm ein rasches Lächeln, das hoffentlich niemand auffiel. Der Unterricht im Kräutergarten war bekannt und von der Gräfin genehmigt. Ihre abendlichen Treffen am Waldrand hingegen waren ihrer beider Geheimnis. Sie fanden unregelmäßig statt, denn sonst wäre die Gefahr einer Entdeckung zu groß gewesen, doch lebte Adelind tagelang in freudiger Erwartung, sobald eines vereinbart worden war. Außer Küssen und vorsichtigen Berührungen war bisher nichts geschehen, aber das lag in erster Linie an seiner Zurückhaltung. Er schien auf eine endgültige Entscheidung ihrerseits zu warten. Aber eben vor dieser Entscheidung hatte sie Angst.
Nach dem Gebet durfte gegessen werden. Zwar fielen die Speisen weniger karg aus als in den letzten Wochen, da die Fastenzeit vorüber war, aber Adelind vermochte sich immer noch kein Leben ohne Schinken vorzustellen und haderte manchmal mit sich selbst, ob dies ein Zeichen sündhafter Schwäche war. Nun trank sie klares Regenwasser, das in Fässern aufgefangen wurde, und sehnte sich nach Wein.
» Jetzt, da es wirklich warm geworden ist « , begann Marcia plötzlich. » Wäre es da nicht an der Zeit, mit der Truppe weiterzuziehen? «
Sie hatte laut genug gesprochen, um von allen gehört zu werden. Rosa runzelte die Stirn, Biatris sah sich nach der Gräfin um, die aber keine Miene verzog.
» Wenn es euer Wunsch ist aufzubrechen, so habt ihr meinen Segen « , sagte sie nur.
» Ich denke auch, dass es an der Zeit ist « , mischte Antonius sich unerwartet ein. Adelind erwog, ob er sich danach sehnte, der quälenden Nähe Hildegards zu entkommen. Ohne
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