Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
mit ansehen zu müssen. Meine älteste Schwester starb bei der Geburt ihres zweiten Kindes. «
Ein markerschütternder Schrei drang durch die geschlossene Tür. Adelind verspürte wieder Krämpfe in ihren Eingeweiden. Hildegards Beschwerden hatten nach Peyres’ Abreise nachgelassen, doch nun musste sie unvorstellbare Qualen erleiden.
» Es ist Gottes Strafe für die Sünde der Fleischeslust « , entgegnete Rosa sogleich. » Leider ist kein Perfach zugegen, um ihr im Ernstfall das Consolament zu erteilen. Dadurch könnte ihre Seele erlöst werden, denn seit sie hier ist, lebte sie gottesfürchtig. «
Adelind fuhr herum. Bisher hatte sie Rosa wegen ihres scharfen Verstandes geachtet, doch nun überkam sie der Wunsch, dem totenbleichen Gesicht durch ein paar heftige Ohrfeigen Farbe zu verpassen.
» Meine Schwester war stets gottesfürchtig « , zischte sie. » Und ich weiß, Gott der Herr wird ihre Seele gnädig empfangen, wenn sie stirbt, auch ohne Consolament. Aber bis dahin wird sicher noch viel Zeit vergehen. «
Rosa schien über den heftigen Widerspruch nicht gekränkt, legte nur nachdenklich die Stirn in Falten.
» Nun, das entspricht nicht unserer Lehre. Aber vielleicht denkt die Gräfin ähnlich und ließ deshalb keinen Perfach kommen. In manchen Dingen hat sie ihre eigenen Vorstellungen. «
» Ach, ich glaube, es war, weil sie selbst neun Geburten überlebte « , mischte sich Alazais ein. » Wenn ich einmal verheiratet bin und mein erstes Kind erwarte, dann denke ich sicher auch an Esclarmonde, um mir Mut zu machen. «
Ein weiterer Schrei setzte der Unterhaltung ein jähes Ende. Alle Frauen erstarrten in Erahnung jener Qual, zu der ihr Körper sie verdammt hatte.
» Wir sollten beten, damit Gott der Herr Erbarmen mit Hildegard hat « , bestimmte Rosa. Alle folgten ihr in das große Zimmer, wo die Mahlzeiten eingenommen wurden. Sie falteten die Hände und versuchten, durch ein gemeinsames Murmeln des Paternosters weitere Schreie zu übertönen. Es gelang ihnen nicht ganz, doch kehrte durch das stete Wiederholen vertrauter Worte allmählich Ruhe in ihre Gemüter, verbunden mit der Bereitschaft, Gott den Herrn entscheiden zu lassen, was sie selbst nicht beeinflussen konnten. Erst als Adelind ihre Schwester fast ununterbrochen kreischen hörte, als werde sie bei lebendigem Leibe zerfetzt, sprang sie auf und rannte auf die geschlossene Tür zu, um sie aufzustoßen.
Es roch wie beim Schlachten eines Tieres. Hildegard lag mit geschlossenen Augen auf einem Laken. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren, und das Laken unter ihr war dunkelrot, als hätte es alles Blut ihres Körpers in sich aufgesaugt. Als eine der Bäuerinnen sanft auf sie einredete und ihr den Schweiß von der Stirn wischte, bewegten ihre Lippen sich, ohne dass ein Ton aus ihrer Kehle drang.
» Es ist endlich vorbei « , las Adelind.
» Gott sei gedankt, sie hat es überstanden « , hörte sie die Stimme von Biatris, die eine Hand auf ihren Ellbogen gelegt hatte. » Aber das Kind, ich glaube, es steht nicht gut mit ihm. Es hat noch keinen Laut von sich gegeben. «
» Eine Totgeburt. Oder es starb, wenige Augenblicke nachdem es den Mutterleib verließ. Das Mädchen hatte Glück, denn ein totes Kind kann bei der Geburt auch die Mutter töten « , mischte sich die kleine Hebamme ein. In ihren Armen lag ein winziges, regloses, krebsrotes Bündel Fleisch auf einem Stück Laken. Adelind wurde übel. Fassungslos starrte sie in das unbewegte Gesicht der Hebamme, dessen Falten von einem reichen Schatz an Lebenserfahrung zeugten.
» Ich vermute, ihr wollt es hier selbst begraben. Wenn der Pfarrer erwünscht ist, kommt er sicher auch, obwohl das Kind ja nicht einmal getauft ist. «
Das Bündel wurde hochgehalten. Biatris wich zurück. Adelind fühlte sich verpflichtet, es an sich zu nehmen, obwohl Galle in ihrer Kehle hochstieg. Das tote Kind war federleicht und blutbefleckt wie ein geschlachtetes Huhn.
» Sie ist jung und gesund, kann noch viele Kinder bekommen « , meinte die Hebamme gleichmütig. » Aber ich denke, das will sie gar nicht, sonst wäre sie nicht hier. «
» Diese Dinge brauchen dich nicht zu kümmern « , mahnte Biatris streng. » Komm mit, du sollst deinen Lohn erhalten. «
Adelind schossen Tränen des Entsetzens in die Augen, als Biatris den Raum verließ. Warum ließ man sie allein mit einem tot geborenen, winzigen Menschen? Verzweifelt sah sie sich nach Hildegard um, die tief atmend auf dem Laken lag, ohne die Augen zu
Weitere Kostenlose Bücher