Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Gebäude. Sie wusste nicht, ob sie wirklich glücklich war, aber sie wusste, wohin sie gehörte.
In einem großen, hellen Saal waren Bänke und Tische in einem Halbkreis aufgestellt worden. Prächtige Kerzenhalter an den Wänden sollten bei Einbruch der Dämmerung für Beleuchtung sorgen, und trotz der von Katharern bevorzugten Schlichtheit hatte der Hausherr auch auf ein paar Wandteppiche nicht verzichten wollen. Adelind musterte eine Jagdszene sowie die Darstellung von Rittern und Damen in einem Hain. Religiöse Motive fehlten allerdings, da der katharische Glaube keine bildliche Darstellung biblischer Szenen wünschte. Einige vornehm gekleidete Herrschaften verteilten sich bereits plaudernd im Raum, wo nach der Zeremonie mit einem Festmahl zu rechnen war. Adelind erkannte jene prächtigen Frauengewänder, die sie bereits draußen bewundert hatte, und musste wieder leise lächeln. Esclarmonde war zu weltgewandt, um allen Gästen jene strengen Regeln vorzuschreiben, denen sie selbst sich nun unterwarf. Sie musste endgültig so streng gefastet haben, wie der Glaube es ihr vorschrieb, denn ihre Wangen schienen eingefallen, doch funkelten ihre Augen zu stolz, um sie dadurch erschöpft wirken zu lassen. Sie begrüßte die Gäste heiter und gelassen, als handle es sich hier um ein geselliges Beisammensein des okzitanischen Adels, was es in vieler Hinsicht auch war. Adelind erkannte den Grafen Raimond-Rogièr de Foix, Esclarmondes Bruder. Philippa, seine Gemahlin, war nicht zugegen, hielt sich vermutlich in Dun auf. Neben dem Grafen stand der Vescomte de Trencavel, zu dessen Herrschaftsgebiet Bezers und Carcassona gehörten. Er war ein junger, schlanker Mann mit gefälligen Gesichtszügen und angenehmen Manieren, plauderte gerade angeregt mit Fays de Durfort, die selbst in schlichtes Schwarz gehüllt und mit bedecktem Haupt ein lieblicher Anblick war. Keiner dieser Herren hatte sich bisher zum Perfach weihen lassen, denn die damit verbundenen Regeln der Keuschheit und des Fastens behagten ihnen nicht, doch duldeten und unterstützten sie den Glauben in ihren Ländereien. Nur der Graf von Tolosa, höchster Herrscher des Languedoc, fehlte hier, obwohl er sich niemals gegen die Katharer gewandt hatte. Adelind wusste von Esclarmonde, dass er stets einen Perfach an seiner Seite haben wollte, um im Notfall vor seinem Tod das Consolament empfangen zu können. Bisher war es ihm auch gelungen, eine Einmischung des Papstes abzuwehren, indem er Rom zwar Versprechungen machte, diese aber nicht hielt. Esclarmonde hatte Adelind erklärt, auch der französische König Philipp Auguste würde niemals einen Krieg gegen das Languedoc beginnen, ganz gleich wie viele dringliche Schreiben aus Rom er erhalten mochte, denn seine eigenen Ländereien wären dann allzu leicht angreifbar für John, König von England, gegen den er seit Jahrzehnten Krieg führte. Daher waren die Aufrufe des Papstes zu einem Kreuzzug nur Schall und Rauch. Der okzitanische Adel ignorierte sie, und niemand anderer hielt es für erstrebenswert, sich einzumischen. Adelind begann zum wiederholten Mal zu erwägen, wie lange dieses Spiel des Zögerns und Hinhaltens andauern würde. Esclarmonde schien zu hoffen, die Katharer wären irgendwann zu einflussreich und beliebt geworden, als dass ein gewaltsames Verdrängen möglich wäre. Die Kirche in Rom würde sie neben sich dulden müssen, so wie die Orthodoxen im Osten. Hier im Languedoc hatte der katholische Klerus sich weitgehend mit der Lage arrangiert, versuchte lediglich, die noch treuen Gläubigen an sich zu binden, anstatt gegen jene zu wettern, die bereits die Seiten gewechselt hatten. Vielleicht lag es an dem allgemein sehr gelassenen Umgang mit Andersgläubigen, der ihr bereits in Monpeslier aufgefallen war, dachte Adelind, während sie gemeinsam mit Hildegard neugierig durch den Raum spazierte. An einer Tafel auf der rechten Seite entdeckte sie Esclarmondes ältesten Sohn Bernard, der einmal mit seiner Mutter die domus in Carcassona besucht hatte. Neben ihm saßen fünf noch recht kindliche Gestalten. Sie überlegte, ob dies Esclarmondes ganzer Nachwuchs sein konnte, da merkte sie plötzlich, wie das allgemeine Stimmengemurmel um sie herum leiser zu werden begann.
Eine hochgewachsene Gestalt in einem langen weißen Gewand hatte den Saal betreten und zog alle Blicke auf sich. Guilhabert de Castres, erster Sohn des katharischen Bischofs von Tolosa genannt, was lediglich bedeutete, dass er sein ernannter Nachfolger
Weitere Kostenlose Bücher