Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
setzte er an, kam jedoch nicht dazu, seinen Satz zu vollenden.
»Um mein Gelübde macht Euch keine Gedanken«, warf
Schwester Irmingardis entschlossen ein. »Was es diesbezüglich zu sagen gibt,
würde ich im Angesicht des Herrn wiederholen. Und zwar mit reinem Gewissen.«
»Und das wäre?«
Schwester Irmingardis sah ihn kurz an, wandte den
Blick jedoch sofort wieder ab. »Dass man sich vor ihm in Acht nehmen muss!«,
antwortete sie denkbar knapp.
»Wie vor den meisten hohen Herren.«
»Wie wahr. Aber wenn diese Regel jemals Gültigkeit
besaß, dann vor allem in Bezug auf Johann von Brunn.«
»Und wieso? Wie ist er denn nun?«
»Giftig wie eine Kobra, gerissen wie ein Fuchs und
gefräßig wie ein Rudel Wölfe.«
»Hört sich ja nicht gerade ermutigend an.«
»Ist es auch nicht!«, machte Schwester Irmingardis aus
ihrer Abneigung keinen Hehl. »Wenn ihn nämlich etwas umtreibt, dann das liebe
Geld. Nach allem, was man hört, hat er nämlich Schulden. Und das in Hülle und
Fülle. Obwohl er den Bürgern der Stadt so um die 30 000 Gulden …«
»Dreißigtausend?!«
»Ihr habt richtig gehört, Vogt. 30 000 Gulden. Sagt
man jedenfalls. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viele Bastarde er hat. Und
wie sich’s gehört, unter anderem auch mit der Frau eines Ratsherrn. Also alles
andere als ein Kostverächter. Feste feiern, wie sie fallen, sich der Völlerei
hingeben, tafeln, ausreiten, jagen – da bleibt für Gott den Herrn wahrhaftig
nicht viel Zeit.«
»Ihr scheint ihn ja wirklich gut zu kennen.«
Schwester Irmingardis nickte, und zu Berengars
Bestürzung begannen sich ihre blassrosa Lippen zu einem zynischen Lächeln zu
verformen. Von den ebenmäßigen Zügen der Ordensfrau mit dem Madonnenantlitz war
so gut wie nichts übrig geblieben. »Das kann man wohl sagen!«, entgegnete sie
in einem Ton, der überhaupt nicht zu ihr passte. »Und darum mein Rat: Wenn
möglich, kehrt dieser Stadt den Rücken. Und zwar so schnell es irgend geht!«
*
Agilulfs Haus,
zwei Stunden vor Mitternacht
Die Gassen waren wie ausgestorben. Außer der
Stundenglocke im Dominikanerkloster drang kein Laut durch die stockfinstere
Nacht. Der festen Überzeugung, er werde verfolgt, verlangsamte Agilulf seinen
Schritt, wirbelte auf dem Absatz herum und lauschte. Alles nur Einbildung? Der
Platz vor dem Spitaltor war und blieb leer, und ein herumstreunender Straßenköter,
das einzige Lebewesen weit und breit, ergriff bei seinem Anblick sofort die
Flucht.
Noch zwei Stunden bis zwölf. Dann war es so weit.
Allein schon der Gedanke an die bevorstehende Tat trieb dem Reliquienhändler
den Angstschweiß auf die Stirn, aber die Aussicht auf ein sorgenfreies Leben
genügte, um sämtliche Bedenken zu zerstreuen. Der Plan, den er im Verlauf des
Tages ausgeheckt hatte, war idiotensicher, geradezu genial. Er würde sie alle
täuschen. Vor allen anderen den Fremden, der sich einbildete, die Regeln des
Spiels zu bestimmen. Er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Und sich in
ihm, Agilulf, gewaltig getäuscht. Was auch geschah, er würde ihn übertölpeln.
So wahr er der gewiefteste Reliquienhändler Würzburgs war.
Obwohl kein Mensch in der Nähe war, legte Agilulf die
letzte Strecke Weges im Laufschritt zurück. Das Viertel, in dem er wohnte,
zählte nicht zu den besten, und das nicht ohne Grund. Wer etwas auf sich hielt,
wohnte in der Domstraße oder am Markt, nicht hier, inmitten von Tagelöhnern,
Häckern und Leuten wie ihm. Entsprechend heruntergekommen sahen die Behausungen
aus, an denen Agilulf vorbeihastete, und als er die Türklinke seines Hauses
herunterdrückte, machte sich Erleichterung in ihm breit.
»So spät noch unterwegs – wie das?!«
Vor Schreck wie gelähmt, hätte Agilulf den
Türschlüssel um ein Haar fallen lassen. Im Begriff, sich umzudrehen, verharrte
er jedoch in seiner ursprünglichen Position, während sein Kopf kraftlos nach
vorn sackte. »Und wenn schon – ist das etwa verboten?«, entgegnete er, die
Linke in den Türpfosten gekrallt.
»Natürlich nicht!«, versetzte die
Stimme hinter ihm, die der Reliquienhändler aus Tausenden von anderen hätte
heraushören können. »Solange du dich an die Abmachungen hältst.«
»Selbstverständlich – wo denkt Ihr hin!«, antwortete
Agilulf mit schweißnasser Hand, bemüht, seiner Stimme trotz allem ein wenig
Festigkeit zu verleihen. Auf einmal wog der Brief in seiner Tasche wie Blei, so
schwer, dass ihm die Knie zitterten.
»Beruhigend zu wissen!«, ließ
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